Aktuelle Publikation: Wie das zahnlose Cas(cade) die Proteinbiosynthese stört

Anfang Mai haben wir die erste Arbeitsgruppe aus dem DFG-Schwerpunktprogramm um Anita Marchfelder und deren Forschung am Haloarchaeon Haloferax volcanii vorgestellt. Die jüngsten Erkenntnisse aus diesem CRISPR-Cas Projekt wurden vom Ulmer Team bereits publiziert, und wir haben die wichtigsten Fakten zusammengestellt:

Archaeen hießen früher mal „Archaebakterien“. Bis man feststellte, dass sie zwar wie Bakterien aussehen, aber doch ganz anders sind. Neben den Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern aufweisen (vom Pantoffeltierchen über Pflanzen bis hin zum Menschen) und den Bakterien bilden die Archaeen somit die dritte Domäne des Lebens. Schon wegen ihrer besonderen Stellung im Stammbaum des Lebens sind sie gerade für die Grundlagenforschung sehr interessant und werden stark beforscht.

Unter ihnen sind auch sehr ungewöhnliche Arten, die unter ganz extremen Bedingungen leben können: in heißen Quellen, in extrem salzigen Gewässern und in Säure-Seen. Das macht sie für einige Anwendungen wieder sehr interessant, z.B. um Enzyme herzustellen, die auch bei hohen Temperaturen (wie in der Waschmaschine) noch funktionieren oder um Medikamente zu machen, die den Durchgang durch unseren extrem sauren Magen überleben. Dazu ist es sehr nützlich, in das Genom von Archaeen eingreifen zu können, ihr Leben besser zu verstehen und möglicherweise später einmal genetische Anpassungen vorzunehmen, die für den Menschen nützlich sind.

Diese wissenschaftliche Veröffentlichung beschäftigt sich damit, das eigene CRISPR-Cas System des Archaeon Haloferax volcanii zu nutzen, um einzelne Gene ein- oder auszuschalten. Hier geht es (noch) nicht um nützliche Anwendungen, sondern um einen proof of principle. In anderen Bereichen würde man das als „Machbarkeitsstudie“ bezeichnen.

dCasIm „Familienalbum“ der Cas-Proteine hatte Lukas Kummer schon dCas9 vorgestellt. Das d steht dabei für dead. So ganz tot ist dieses Cas9-Protein aber nicht. Es ist nur „zahnlos“ und kann keine DNA mehr schneiden, aber es kann immer noch eine crRNA binden, dadurch ein ganz bestimmtes Ziel in der DNA erkennen und sich dort niederlassen. Und was macht es dort? Natürlich nichts! Aber es ist lästig und belegt einen Platz, an dem andere Proteine arbeiten wollen.

Gene werden bekanntlich von RNA-Polymerasen in mRNA überschrieben (transkribiert) und diese mRNAs werden in Proteine übersetzt (translatiert). Sitzt nun ein dCas-Protein auf der Eingangsstelle für die RNA-Polymerase, so kann sie nicht transkribieren und folglich fehlt der Zelle das entsprechende Protein. Man hat also dessen Synthese blockiert.

In Haloferax volcanii hat das gängige dCas9-Protein bislang allerdings nie funktioniert, vielleicht, weil es mit den hohen Salzkonzentrationen in diesen Zellen nicht klar kommt. Die Gruppe von Anita Marchfelder hatte dann die Idee, das eigene CRISPR-Cas System von H. volcanii zu verwenden. Es ist sehr komplex aufgebaut und besteht aus vielen Cas-Proteinen, die als „Cascade“ bezeichnet werden. Abbildung 1 zeigt – stark vereinfacht – wie ein zahnloses „Cascade“ mit seiner crRNA (hier aus „Spacer“ und „Repeat“ bestehend) den Zugang für die RNA-Polymerase blockiert.

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Abb. 1: „Cascade“ blockiert den Zugang für die RNA-Polymerase

So kann man auch in diesen Archaeen ein Gen gezielt abschalten. Nutzen kann man dies um z.B. zu untersuchen, welche Funktion das Gen bzw. das codierte Protein hat oder man kann Gene ausschalten, die für eine bestimmte Nutzung der Archaeen störend sind.

Die Gruppe hat dieses Prinzip an verschiedenen Genen von Haloferax ausprobiert. Man kennt zwar die Eingangsstelle der RNA-Polymerase ungefähr, weiß aber nicht so ganz genau, wo das zahnlose „Cascade“ am meisten stören würde. Sie haben deshalb eine ganze Reihe von crRNAs getestet, um die besten Stellen zu identifizieren. Dabei haben sie einen pfiffigen „Baukasten“ entwickelt, mit dem man schnell und problemlos verschiedene kurze CRISPR-Sequenzen bauen und in die Zellen einbringen kann.

Wie überprüft man ob die Experimente funktionieren?

1. Wenn man erfolgreich das Ablesen eines Gens verhindert hat, sollte die Menge an mRNA des anvisierten Gens deutlich verringert sein. Die Forschergruppe maß daher die mRNA-Menge vor und nach dem Hinzufügen der spezifischen crRNA. Tatsächlich sinkt die Menge an mRNA auf 20-30% gegenüber der Kontrolle (ohne crRNA) ab, wenn die crRNA das dead Cas/Cascade an die richtige Stelle geleitet hat.

2. Man kann untersuchen, ob die Zellen Probleme bekommen, wenn ein bestimmtes Gen abgeschaltet wird. Tatsächlich wachsen sie in manchen Fällen deutlich schlechter und kommen auch weniger gut mit Stress klar.

3. Das erfolgreiche Abschalten der Transkription eines Gens wird am besten sichtbar, wenn dadurch ein Protein nicht mehr hergestellt werden kann, das etwas am äußeren Erscheinungsbild der Zellen ändert. Der Versuchsorganismus Haloferax produziert normalerweise einen roten Farbstoff. Wenn mit dem CRISPR-Cas System ein Gen abgeschaltet wird, das für die Biosynthese des Farbstoffs gebraucht wird, bleiben die Zellen weiß (oder eher grau). Abbildung 2 zeigt Haloferax-Zellen auf einem Nährboden. In c ist die Kontrolle ohne crRNA gezeigt, in 1 und 1anti wurden crRNAs verwendet, die keinen Effekt haben. Nur in 2anti ist die rote Farbe tatsächlich verschwunden.

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Abb. 2: Unterschiedlich behandelte Haloferax-Zellen auf einem Nährboden. c = Kontrolle, 1 und 1anti = Behandlung mit crRNAs ohne Effekt, 2anti = Behandlung mit einer crRNA gegen das „Farbstoffgen“

Die Experimente zeigen, dass man in Haloferax (und voraussichtlich auch in anderen Archaeen) mit einem dead CRISPR-Cas System Gene abschalten kann. Das Verfahren nennt man CRISPRi (CRISPR Interference). Im Gegensatz zu anderen CRISPR-Cas Methoden, wird das Genom der Zellen nicht verändert – es wird kein Gen auf DNA-Ebene zerstört. Nur die Expression des Gens (das Ablesen der mRNA) wird weitgehend (aber nicht vollständig) unterdrückt.

Anmerkung: Da Grafiken aus eigenen Publikationen im Verlag Elsevier nur gegen hohe Gebühren verwendet werden dürfen, haben wir darauf verzichtet. Die beiden gezeigten Abbildungen wurden von der CRISPR-Whisper-Redaktion entworfen und sind nicht identisch mit den Originalversionen.

Publikation: Stachler AE, Schwarz TS, Schreiber S, Marchfelder A. CRISPRi as an efficient tool for gene repression in archaea. Methods. 2020 Feb 1;172:76-85. doi: 10.1016/j.ymeth.2019.05.023

Autor: Wolfgang Nellen

 


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