Wie entsteht eine wissenschaftliche Publikation?

In einer Reihe von Beiträgen möchten wir die aktuelle Forschung der Arbeitsgruppen im CRISPR-Konsortium (SPP 2141) näher und einigermaßen verständlich beschreiben. Dazu benutzen wir die offiziellen Projektbeschreibungen der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und aktuelle Publikationen der Arbeitsgruppen.

Zuerst einmal stellt sich aber die Frage, was eine wissenschaftliche Publikation überhaupt ist und wie sie zustande kommt. Was steckt hinter den paar Seiten eines solchen Artikels, den Wissenschaftler als Paper bezeichnen? Wie glaubwürdig ist das? Wie wichtig ist das? Ist das nützlich?

Die Gruppen des Schwerpunktprogramms 2141 arbeiten in der Grundlagenforschung. Das heißt, die Fragestellungen der Forschungsprojekte sind selbst gestellt. Es gibt keine Aufträge, keine definierten Ziele (Entwickle ein Medikament gegen XY!). Zudem sind die Fragen meist ergebnisoffen (Wie funktioniert XY? Was ist XY überhaupt?) und ergeben sich überwiegend aus der Forschungsarbeit selbst: man findet eine Antwort, aber daraus ergeben sich zig neue Fragen.

Die Projekte werden meist von den Leiter*innen der Arbeitsgruppen entworfen, dabei kommt es darauf an, dass verschiedene Projekte einer Arbeitsgruppe sich gegenseitig ergänzen und miteinander verzahnt sind. Die jüngeren wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (meistens Doktorand*innen) müssen jedoch nicht ein entworfenes Projekt „abarbeiten“, sie bringen eigene Ideen ein, lösen Probleme und entwickeln Methoden. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit, denn die Expertise in einer Arbeitsgruppe ist nicht gleichmäßig verteilt: der eine kennt sich gut mit Bioinformatik aus, der andere mit Biochemie und der dritte kennt alle Tricks der Molekularbiologie. In vielen Fällen reicht das aber noch immer nicht aus und man holt sich Hilfe bei Kollegen und Kolleginnen anderer Forschungslabore. Die Schwerpunktprogramme sind dafür gemacht, solche Zusammenarbeiten zwischen den beteiligten Arbeitsgruppen zu stimulieren, oftmals gibt es aber auch Kooperationen mit weiteren, internationalen Laboren.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn auf einer Publikation viele Autor*innen stehen, die alle einen Beitrag zur vorgestellten Arbeit geleistet haben. In manchen Zeitschriften wird sogar gefordert, dass die Einzelleistung jedes Mitwirkenden genau angegeben wird.

Abb. 1: Diese Veröffentlichung stammt aus einer Zusammenarbeit von vier Arbeitsgruppen in Marburg und Göttingen. Das Manuskript wurde am 11.3. eingereicht, am 12.5. wurde eine revidierte Fassung (nach Empfehlung der Gutachter) geliefert, am 13.5. wurde das Paper zur Veröffentlichung angenommen und am 23.5. online publiziert. Diese Bearbeitungsdauer von weniger als drei Monaten ist ziemlich schnell!

In den Biowissenschaften gibt es ungeschriebene Regeln, in welcher Reihenfolge die Autor*innen aufgelistet werden. Vorne stehen die jungen Wissenschaftler*innen, die zum größten Teil die experimentelle Arbeit gemacht haben: je weiter vorne ein Name steht, umso größer der Beitrag zu diesem Artikel. Hinten stehen die Gruppenleiter*innen, die die Arbeit konzipiert und koordiniert haben. Hier gilt die umgekehrte Reihenfolge: ganz am Ende steht der Gruppenleiter/die Gruppenleiterin, der/die hauptsächlich für die Arbeit verantwortlich ist. Diese Konvention hat große Vorteile: junge Wissenschaftler*innen wollen vorne stehen. Das belegt für ihre weitere Laufbahn, dass sie wesentliche Beiträge zu wissenschaftlichen Arbeiten geleistet haben. Gruppenleiter*innen wollen hinten stehen, denn das belegt, dass sie eine Arbeitsgruppe angeleitet und ein Projekt erfolgreich koordiniert haben. Das ist auch für ihre weitere Laufbahn wichtig und dient auch als Leistungsnachweis für die Einwerbung von sogenannten Drittmitteln.

Die Gruppenleiter*innen entscheiden schließlich, wann ausreichend Daten vorhanden sind, um die Ergebnisse und neuen Erkenntnisse zu publizieren und einen Artikel von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse zu schreiben. Das kann sich über zwei bis drei Jahre hinziehen. Üblicherweise schreibt der/die federführende Gruppenleiter*in ein Konzept, das dann von den Beteiligten ergänzt wird.

Vergleicht man wissenschaftliche Artikel miteinander, erkennt man im Aufbau eine inhaltliche Grundstruktur (Abb. 2), welche allerdings entsprechend der formalen Vorgaben der zur Publikation gewählten Zeitschrift und auch von der Art des Artikels (z.B. Research Article, Review, Short Communication) leicht variieren kann.

Abb. 2: Diese Gliederung entspricht dem Grundbauplan eines wissenschaftlen Artikels und gibt von oben nach unten die Reihenfolge der einzelnen Teile an, wobei hier durchaus von Zeitschrift zu Zeitschrift leichte Abwandlungen – z.B. in Form eines kombinierten Ergebnis- und Diskussionsteils – möglich sind. Im nachfolgenden Text werden diese einzelnen Elemente noch einmal genauer beleuchtet.

Neben wichtigen formalen Angaben wie der Autorenschaft, deren Zugehörigkeit (z.B. ein bestimmter universitärer Fachbereich) und einer Aufreihung der Schlagworte (Key words) informiert die Titelseite (Title page) im sogenannten Abstract über die Quintessenz des vorliegenden Artikels. Dieser Abschnitt umreißt ganz kurz, worum es in der Arbeit geht und welche wesentlichen Erkenntnisse die Forscher*innen herausgefunden haben. Er ist nur ein paar Zeilen lang.

In der Einleitung (Introduction) wird der bisherige Wissensstand auf dem Gebiet ausführlich dargestellt und herausgearbeitet, wo es Wissenslücken gibt und was bisher noch völlig unbekannt ist. Daraus ergibt sich gleichzeitig die Motivation für diese Arbeit. Die Einleitung erfordert ein umfangreiches Wissen über das jeweilige Spezialgebiet. Hier sind auch die meisten zitierten Publikationen (References) enthalten, die auf frühere Arbeiten anderer, aber auch der eigenen Arbeitsgruppe verweisen. Unser Beispiel-Artikel enthält 54 Referenzen. Da muss man schon eine Menge gelesen haben, um einen Überblick über die Materie zu gewinnen!

Im Teil Material und Methoden (Material and Methods) müssen alle experimentellen Methoden, Protokolle sowie die verwendeten Chemikalien und Geräte so beschrieben werden, dass die Experimente von jedem Experten/jeder Expertin nachvollzogen werden können. Dieser Teil enthält praktisch die „Kochrezepte“ für die Experimente. Die Autor*innen verpflichten sich, selbst hergestellte Materialien anderen Wissenschaftler*innen kostenfrei oder zum Selbstkostenpreis zur Verfügung zu stellen.

Im Ergebnisteil (Results) werden die Experimente in logischer Reihenfolge beschrieben. Er besteht zu einem großen Teil aus Abbildungen, in denen die Ergebnisse gezeigt werden. In einer Publikation sind bis zu 10 Datenabbildungen enthalten, die wiederum in Unterabbildungen aufgeteilt sein können (wie z.B. in Abb. 3).

Abb. 3: In dieser Abbildung sind Originaldaten eines Experiments gezeigt, bei dem die Zusammensetzung eines CRISPR-Cas Komplexes untersucht wurde. Wie diese Daten erstellt wurden, ist im Teil Materials and Methods beschrieben. Die Bilder dürfen nicht mit Bildbearbeitungsprogrammen geändert werden!

Jede Abbildung bzw. Unterabbildung zeigt ein Experiment, das selbstverständlich mehrfach wiederholt wurde. Oft verbirgt sich das in der kleinen Angabe „N=10“, d.h. das Experiment wurde 10x durchgeführt. Experimentelle Ansätze, die sich als nicht zielführend oder ungeeignet herausstellten, werden oft im Text erwähnt. Die Daten, die nicht weiter zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben, werden aber nicht gezeigt. Hinter der lapidaren Notiz „data not shown“ kann sich ein halbes Jahr Frustration verbergen! Wenn nur quantitative Daten (z.B. in Form von Balkendiagrammen oder Tabellen) gezeigt werden, müssen die Originaldaten zumindest im Labor hinterlegt sein, oft werden sie aber auch in umfangreichen Anhängen der Publikation beigefügt (Supplementary Material).

Abb. 4: Diese zusätzlichen Daten sind über einen Link auf der Homepage der Zeitschrift abrufbar.

Oft werden auch Grafiken (Cartoos) benutzt, um Befunde, das experimentelle Vorgehen oder Modelle leichter verständlich zu machen. Bei speziellen Daten, wie z.B. DNA-Sequenzen oder Proteinstrukturen wird verlangt, dass sie in den großen internationalen Datenbanken öffentlich zugänglich eingetragen werden. Dort sind sie eindeutig durch sogenannte Akzessions- oder Projektnummern identifizierbar.

Abb. 5: Für diese Veröffentlichung wurden keine zusätzlichen Daten in Datenbanken abgelegt, alle Materialien sind in der Publikation und im Abschnitt Supplementary Material enthalten.

In der Diskussion (Discussion) werden die Ergebnisse interpretiert und in Zusammenhang mit früheren Daten in den wissenschaftlichen Kontext gestellt. Dabei sind durchaus Spekulationen und Mutmaßungen erlaubt – sie müssen aber deutlich gekennzeichnet werden.

Im Quellenverzeichnis (References) sind alle wissenschaftlichen Arbeiten aufgelistet, auf die sich die Publikation bezieht. Das sind Daten aus früherer Forschung. Methoden, die von anderen übernommen wurden, oder Ideen zur Interpretation von Daten, die von anderen vorgeschlagen wurden. Wer Zitate vergisst oder unterschlägt, gerät in den Verdacht, sich mit fremden Federn zu schmücken! Man muss aber auch bedenken, dass die Einleitung – die die meisten Zitate enthält – ohnehin nicht den Anspruch auf eigene intellektuelle Leistungen erhebt, sondern sich fast ausschließlich auf die Vorarbeiten anderer bezieht. Die Art und Weise wie Quellen angegeben werden, unterscheidet sich zwischen einzelnen Zeitschriften und ist den jeweiligen Instructions for Authors zu entnehmen. Alle haben aber gemeinsam, dass die Quelle eindeutig angegeben und abrufbar sein muss.

Abb. 6: Ein Zitat sieht beispielsweise so aus: Autoren, Titel der Arbeit, Name der Zeitschrift und dann eine unverständliche Zahlenreihe. Sie gibt das Erscheinungsjahr (2014), den Band der Zeitschrift (42) und die Seitenzahl (5125 bis 5138) an. In der Online-Version sind direkte Links zu dem Artikel angegeben. Auf Google findet man solche Arbeiten nicht so leicht. Dazu benutzt man weltweite wissenschaftliche Bibliotheken wie PubMed, Google Scholar oder andere.

Leider haben viele Zeitschriften (u.a. Nature und Science!) eine „Paywall“. Das heißt, dass die Publikationen nicht für jedermann zugänglich sind (es sei denn, man zahlt 20 bis 30€ für einen Artikel – die Autor*innen bekommen davon aber nichts ab!). Immer mehr Zeitschriften bieten jedoch Open Access an und jede*r Interessierte kann die Publikation mit einem Klick kostenlos als PDF runterladen.

Kein Forschungsprojekt ist ohne Fördergelder durchführbar. Die meist staatliche Förderung muss im Abschnitt Funding angegeben werden.

Abb. 7: Alle Geldquellen sämtlicher Autor*innen müssen angegeben werden. Eine kleine Besonderheit: die Max-Planck-Gesellschaft hat speziell die Gebühren für Open Access übernommen. Das ist eine zusätzliche Gebühr die bezahlt werden muss, wenn die Publikation unbeschränkt für alle Interessierten zugänglich sein soll.

Zusätzlich verlangen wissenschaftliche Zeitschriften, dass die Autor*innen einen eventuellen Interessenkonflikt (Conflict of Interest) angeben. Das bedeutet beispielsweise, dass sie offenlegen müssen, wenn sie gleichzeitig für ein Industrieunternehmen arbeiten oder Beratertätigkeiten ausüben.

Zuletzt haben die Autor*innen unter der Rubrik Acknowledgements die Möglichkeit, Personen oder Institutionen für etwaige Hilfe oder für die Bereitstellung von Ressourcen zu danken (so findet man in der Pflanzenforschung z.B. an dieser Stelle gern Botanische Gärten, deren Material verwendet werden durfte).

Wenn das Manuskript fertig geschrieben und von allen Autor*innen akzeptiert ist, wird es vom federführenden Autor/der federführenden Autorin (Corresponding Author) bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht. Welche Zeitschrift dafür geeignet ist, entscheiden die Autor*innen gemeinsam. Sie schätzen dabei selbst ein, für wie wichtig sie die Arbeit halten und wie groß die Chancen sind, dass das Paper angenommen wird. Zeitschriften wie Nature oder Science haben zwar ein sehr hohes Prestige (was durch den sogenannten Impact Factor abgeleitet werden kann), sie nehmen aber nur 5% bis 10% der eingereichten Manuskripte an. Man muss vom Wert und dem allgemeinen Interesse für seine Arbeit schon sehr überzeugt sein, um den langen Begutachtungsprozess bei einer solchen Zeitschrift zu wagen, mit dem großen Risiko, dass die Arbeit dann doch abgelehnt wird.

Die Redaktion der Zeitschrift (Editor) schickt das Manuskript dann an zwei bis drei Fachgutachter (Reviewer), die die Arbeit akribisch beurteilen und eine Empfehlung für die Annahme oder Ablehnung abgeben. Die Gutachter*innen werden von der Redaktion der Zeitschrift nach ihrer Fachexpertise ausgewählt. Dieser „Peer Review“ (Begutachtung durch Gleichgestellte) erfolgt ohne Bezahlung. Für Wissenschaftler*innen ist es eine Ehrensache, etliche Stunden Arbeit in die Beurteilung eines Manuskripts zu stecken.

In den meisten Fällen werden Korrekturen gefordert, oft auch weitere Experimente, um die Schlussfolgerungen besser zu stützen oder Unklarheiten zu beseitigen. Oft sind die Hinweise der (anonymen) Experten*innen sehr hilfreich – aber auch lästig! Es kann weitere drei Monate oder mehr dauern, bis die geforderten Daten erarbeitet sind. Aber wenn das Paper dann endlich angenommen ist (ca. zwei Monate bis ein Jahr nach der Einreichung) ist man schon glücklich! Manche Gruppenleiter*innen laden dann auch gerne mal zu einem kleinen gemeinsamen Umtrunk ein.

Nicht zuletzt: wenn die Arbeit dann publiziert wird, bezahlt man 1.000 bis 3.000 Euro Publikationskosten. Das gilt auch für die viel gelobten Open Access Journals, bei denen jede*r jeden Artikel kostenlos abrufen kann. Weil unsere Autor*innen brav diese Gebühren bezahlt haben, kann auch jede*r Interessierte unseren Beispiel-Artikel jederzeit einsehen und herunterladen.

Oft heißt es „Die haben ja dafür bezahlt, dass das veröffentlicht wurde! Das ist eine Gefälligkeitspublikation!“, das ist Unsinn. Wissenschaftler zahlen so gut wie immer für wissenschaftliche Publikationen.

Wie glaubwürdig, wie zuverlässig sind nun solche Publikationen? Für einen Laien ist das sehr schwer abzuschätzen! Wissenschaftliche Papiere sind von Experten*innen für Experten*innen geschrieben. Laien können keinen Überblick haben, welche Methoden für eine Fragestellung angemessen sind, wie aussagekräftig die Ergebnisse sind, ob alle notwendigen Kontrollen durchgeführt wurden. Da ist man auf das Urteil dieser Fachleute angewiesen. In welcher Zeitschrift ein Artikel veröffentlicht ist, gibt nur einen sehr groben Anhaltspunkt für die Qualität. Die Fachleute wissen (meistens), welche Zeitschriften ein strenges Begutachtungsverfahren haben und deshalb recht glaubwürdig sind (aber auch da gibt es bisweilen schlechte Artikel und das gilt sogar für die renommierten Journale wie Nature und Science!). Für Laien ist der Publikationsdschungel fast undurchschaubar geworden, weil es tatsächlich viele Zeitschriften gibt, die nur die Publikationsgebühren einstreichen wollen und jeden Unfug veröffentlichen. Wer will, kann sich einen Überblick über diese „Raubtier-Journale“ auf Beals-List verschaffen – und es kommen täglich neue hinzu!

Autor: Wolfgang Nellen


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