Wie Systeme funktionieren, die eigentlich nicht funktionieren können

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Dr. Lennart Randau

Das Ziel des Schwerpunktprogramms (SPP) „Beyond Defence“ ist es, herauszufinden, welche Funktionen CRISPR-Cas-Systeme über die Verteidigung gegen Viren hinaus noch haben. Dr. Lennart Randau vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und sein Team sind neuen CRISPR-Cas-Funktionen auf der Spur. Im Focus stehen dabei die bakteriellen Modellorganismen Shewanella putrefaciens und Aromatoleum aromaticum. Im Interview erzählt uns Lennart wie weit er mit seinem Team bereits gekommen ist.

Was ist das Ziel Eures Projektes? Ihr seht Euch zwei CRISPR-Cas-Systeme ganz genau an, richtig?

Wir arbeiten schon ein bisschen länger an CRISPR-Cas-Systemen. Als wir angefangen haben, daran zu arbeiten, hat uns fasziniert, dass es eine sehr große Auswahl an unterschiedlichen CRISPR-Cas-Systemen gibt. Wir schauen uns gerne Systeme an, wo irgendetwas Wichtiges fehlt oder wo irgendetwas Wichtiges verändert ist. Zu verstehen, wie diese Veränderung und wie dieses Fehlen kompensiert wird, hilft uns dabei, die Funktionen dieser Komponenten zu verstehen. Daher haben wir uns gezielt Systeme ausgesucht, die etwas seltsam sind, wo wichtige Teile fehlen oder mutiert sind. Bei einem System sind wir auch schon etwas weiter, das ist der sogenannte Typ-I-Fv Komplex aus Shewanella.

Warum jetzt ausgerechnet dieser Modellorganismus?

Wir hatten den Organismus hier in Marburg, weil Prof. Kai Thormann, damals Kollege hier am Max-Planck-Institut, an diesem Bakterium gearbeitet hat. Und dann habe ich mal irgendwann ins Genom geschaut und habe gesehen, dass dort ein CRISPR-System ist, das so in dieser Form eigentlich gar nicht hätte funktionieren können. Damit stellt sich die Frage: „Funktioniert dieses System, obwohl ein wichtiges Protein fehlt?“ Letztlich hat es funktioniert, was bedeutet, dass hier irgendetwas anderes passieren muss als in anderen CRISPR-Cas-Systemen. Also haben wir uns den Komplex einmal genau angeschaut und untersucht, wie die Aktivität generiert wird.

Gibt es da bereits erste Ergebnisse?

Es gibt ja zwei Klassen an CRISPR-Cas-Systemen: Es gibt die eine Klasse mit großen einzelständigen Cas-Proteinen wie Cas9, die alles machen. Uns interessiert eher die andere Klasse, die auch häufiger in der Natur zu finden ist, bei der viele verschiedene Cas-Proteine einen Komplex bilden und dieser Komplex zusammen mit der CRISPR-RNA die Aktivität vermittelt. So ein Komplex sieht immer so aus, dass stets die CRISPR-RNA vorhanden ist. Die CRISPR-RNA wird benutzt, um die Ziel-DNA zu finden, meistens virale DNA. Die CRISPR-RNA besteht aus dieser Sequenz, die die Virus-DNA erkennt, und dann gibt es Elemente am 5‘- und 3‘-Ende, die noch vom Repeat herstammen. Unser Komplex sieht jetzt so aus, dass ein Cas-Protein spezifisch am 5‘ -Ende bindet, eins bindet spezifisch am 3‘-Ende und dann haben wir mehrere Untereinheiten, die eine Art Rückgrat bilden, um diese mittlere Spacer-Sequenz zu umwickeln. Schließlich fehlen uns in diesem System aber noch zwei weitere Proteine, die mit der DNA interagieren, die die Ziel-Sequenz erkennen und die den Zielstrang an den Komplex führen. Unser Komplex bestand aber wirklich nur aus den drei Proteinen und wir haben gezeigt, dass diese ausreichen, um so einen Effektor-DNA-Suchkomplex zu bilden.

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Kristallstruktur von Shewanella putrefaciens Cascade. Eine CRISPR-RNA (grau) bildet einen Komplex mit der RNA-Nuklease Cas6f (orange) und dem Protein Cas5fv (pink). Der Teil der CRISPR-RNA mit Komplementarität zur (viralen) Ziel-DNA wird von einem Rückgrat aus Cas7fv-Untereinheiten (blau) umwickelt.

Wie zeigt man das ganz konkret? Wie sieht Eure Arbeit im Labor aus?

Wir arbeiten mit E.coli-Bakterien, die wir wachsen lassen können. Die Bakterien werden befallen von Phagen. Wir untersuchen den Phagen Lambda. Wir bringen in diese Bakterien all das ein, was wir denken, was nötig ist, um den Phagenbefall abwehren zu können. So haben wir die Gene für drei Proteine und eine CRISPR-RNA gegen den Phagen Lambda in die Bakterien eingebracht und noch ein Gen für ein viertes Protein bereitgestellt, nämlich Cas3, welches dann die DNA schneidet. Und so haben wir gezeigt, dass diese vier Proteinen zusammen ausreichen, um den Phagen Lambda abzuwehren, dass also die Aktivität mit vier Proteinen rekonstruiert werden kann.

Also habt Ihr über das Überleben der E.coli-Population gezeigt, dass das System funktioniert?

Genau. Und dann wollten wir wissen, wie es molekularbiologisch funktioniert. Wir arbeiten in unserem Labor oft biochemisch: Bei einem aktiven Komplex können wir an eines der Proteine einen sogenannten Tag anbauen und über diesen Tag können wir den Komplex aus der Zelle isolieren und aufreinigen. Dieses aufreinigte RNA-Protein-Gemisch können wir dann analysieren: Bindet es DNA? Schneidet es? Wir können Mutanten erzeugen und untersuchen, wie sich die Mutation auf Binden und Schneiden von DNA auswirkt. Und dann haben wir die Kristallstruktur des Komplexes aufgelöst, zusammen mit Prof. Gert Bange von der Uni Marburg. Das war natürlich sehr hilfreich in diesem Fall, weil wir deutlich in der Struktur des Komplexes gesehen haben, wie die CRISPR-RNA gebunden wird und wie die DNA erkannt wird. Wir konnten sehen, wie bestimmte Proteine in unserem Komplex die Funktionen der fehlenden Proteine, die eigentlich da sein sollten, übernehmen. Das konnte man in der Struktur wunderbar sehen.

Ihr nutzt also auch bildgebende Verfahren?

Wir nutzen Kristallographie: Aufgereinigte Proteine werden kristallisiert und so die 3D-Struktur dieser Proteine erzeugt. Den Komplex können wir uns jetzt in 3D am Computer ansehen und erkennen, wie bestimmte Proteine, Aminosäuren und RNA- oder DNA-Bestandteil im Verhältnis zueinander stehen. Wir haben also die genaue Struktur von diesem Komplex.
Außerdem haben wir einen 3D-Drucker benutzt und den Komplex für die Studierenden in 3D ausgedruckt, damit die sehen können, wo die CRISPR-RNA liegt und wie das ganze umwickelt wird. Diese Sachen machen mir auch richtig Spaß! Wenn ich so einen Molekül-Komplex plastisch in der Hand habe, sehe ich Dinge, die am Computer schwer zu erkennen sind. Das ist also auch durchaus hilfreich für die Forschung.

Das leuchtet ein. Schließlich liefert so ein 3D-Modell eine ganz neue Perspektive.

In der Struktur ist auch wirklich schön zu sehen, wie die Proteine mit der CRISPR-RNA interagieren. Uns fehlte letztlich die Komponente, die die Ziel-Sequenz erkennt. Dann haben wir festgestellt, dass ein anderes Protein diese Rolle übernimmt. Wir sehen genau sämtliche Aminosäuren, die die Ziel-Sequenz „G-G/C-C“-erkennen, wir sehen genau, wie das erkannt wird!

Und wie weit seid Ihr beim zweiten System?

Beim zweiten Projekt haben wir später angefangen. Wie beim ersten System fehlt hier auch einiges an Proteinen. Da wissen wir aber noch nicht, wie das kompensiert wird. Es geht um ein sogenanntes Typ-IV-System. Wir benutzen das Bakterium Aromatoleum aromaticum. Dazu gibt es auch eine ähnliche Geschichte: Prof. Johann Heider von der Uni Marburg hatte das als Modellsystem. Wir wissen, dass es einen Effektor-Komplex gibt. Wir haben nichts, das DNA schneiden kann. Und wir haben auch nichts, das neue DNA-Stücke einbauen kann. Bei uns fehlen Cas1, Cas2, Cas3 – also somit die grundlegendsten Sachen. Nichtsdestotrotz ist das ein System, welches weit verbreitet ist. Also wird es eine Funktion haben. Aber die Funktion muss jetzt nicht unbedingt sein, dass Viren-DNA erkannt und geschnitten wird, sondern wir vermuten, dass das System auch neue Funktionen haben kann. Und deshalb versuchen wir genau wie beim ersten Projekt die Struktur zu bekommen, damit wir verstehen: Was sind Substrate? Wie kann ein Substrat erkannt werden? Und was macht es mit diesen Substraten?

Das ist ja eine ganz ähnliche Vorgehensweise wie beim ersten System. Gibt es auch schon Ergebnisse?

Wir haben auch eine Struktur – mittlerweile, aber relativ niedrig auflösend, über Elektronenmikroskopie. Unser Komplex sieht so aus wie ein Croissant, so halbmondförmig, aber wir wissen noch nicht auf atomaren Level, wie die CRISPR-RNA gebunden wird. Wir haben die Struktur des Enzyms, das CRISPR-RNA schneidet. Wir können also sehen, dass CRISPR-RNA geschnitten und auch eingebaut wird. Aber wir sind noch nicht sicher, wie die Ziel-Nukleinsäuren gebunden werden und was dann mit der Ziel-DNA passiert. Ein Modell sieht vor, dass die DNA erkannt wird, aber dann nicht geschnitten werden muss, sondern die DNA nach Bindung die Konformation ändert. Das kann man z.B. benutzen, um die Gen-Expression zu blockieren. Zum Beispiel wird mit Cas9 die Nuklease-Tätigkeit durch Mutation inaktiviert, Stichwort „Dead-Cas9“. Das könnte ein natürliches System sein, das wirklich nur inhibiert und nicht schneidet. Oder die DNA-Struktur wird benutzt für Rekombination oder um Transposons an ihre Zielsequenz zu leiten. Aber da untersuchen wir noch, was die genaue Funktion ist. In dem SPP ist ja gerade die Idee, nach CRISPR-Cas-Systemen zu suchen, die neue Funktionen haben und das ist ein sehr vielversprechendes System in dieser Richtung.

Weil man da noch wenig drüber weiß?

Die Sachen, die logisch sind, um als Virenabwehr zu fungieren, fehlen: Viren-DNA-Stücke können nicht eingebaut werden, Viren-DNA kann nicht geschnitten werden, zumindest nicht mit den bekannten Proteinen, denn die fehlen.

Kann man über die Spacer-Sequenzen denn Schlussfolgerungen ableiten? Wenn man virale Sequenzen findet, muss es ja doch in die Richtung gehen.

Ja, das war eine der ersten Sachen, die wir gemacht haben. Wir finden in den CRISPR-Arrays durchaus virale Sequenzen, allerdings auch viele, die von Transposons stammen. Es gibt kein normales System, das uns da Viren-Sequenzen einbaut, daher könnte es sein, dass der gesamte CRISPR-Array übernommen worden ist, zumindest von der Funktion. Vom Spacer-Content her sehen wir nichts deutlich Ungewöhnliches.

Gibt es Anwendungen, die man bei der Forschung im Hinterkopf hat? Oder ist das Ziel, der Sache einfach ganz genau auf den Grund gehen?

Das ist unsere Hauptintention natürlich. Wenn wir eine Funktion finden, z. B. Transposons leiten oder Interferenz ermöglichen etc., dann könnte man das später auch so anwenden in der Zelle. Ein Unterprojekt geht über den Rahmen des SPP hinaus: Wir haben dieses Protein, dieses Filament, das bindet sechs Nukleotide an der CRISPR-RNA. Man braucht immer sechs Stück davon, um die CRISPR-RNA zu umwickeln. Wir haben diese RNA-Sequenz verkürzt und verlängert: Immer, wenn man sechs Nukleotide wegnimmt, dann fehlt eins von diesen Rückgratproteinen, und wenn man sechs Nukleotide hinzufügt, erhält man ein neues Rückgratprotein. Und das haben wir jetzt auf die Spitze getrieben und haben ganze Messenger-RNAs mit Hunderten von diesen Rückgratproteinen eingewickelt. Wir haben daraus eine Methode entwickelt, um gezielt RNA zu umwickeln! Die können dann isoliert werden in einem extrem stabilen Status, so dass die RNAs resistent gegen RNAsen oder gegen Hitze sind.

Eine Labormethode hat sich daraus bereits ergeben?

Ja, da haben wir auch bereits ein Patent eingereicht und in dieser Richtung arbeiten wir weiter an Methoden.

Die Fragen stellte Susanne Günther.

 

Zur Person:

Lennart Randau hat an der TU Braunschweig Biologie studiert und bei Prof. Dr. Dieter Jahn seine Diplomarbeit verfasst. Im Rahmen seiner Doktorarbeit über Transfer-RNAs (tRNAs) bekam er die Gelegenheit zu einem Forschungsaufenthalt in Yale, USA, bei Prof. Dr. Dieter Söll. Aus den geplanten sechs Monaten wurden mehrere Jahre: Lennart arbeitete schließlich auch als PostDoc zur Prozessierung von tRNAs bei Dieter Söll. Bei der Suche nach einer ersten eigenen Forschungsgruppe kam ihm sein Spezialwissen über kleine RNAs zugute, denn diese haben bei CRISPR-Cas-Systemen wichtige Funktionen. Seit 2010 leitet Lennart seine eigene Forschungsgruppe „Prokaryotic Small RNA Biology“ am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg.

 

Veröffentlichungen:

  • Özcan, A., Pausch, P., Linden, A., Wulf, A., Schühle, K., Heider, J., Urlaub, H., Heimerl, T., Bange, G. and Randau, L. (2019) Type IV CRISPR RNA processing and effector complex formation in Aromatoleum aromaticum. Nature Microbiol, 4, 89-96.
    https://www.nature.com/articles/s41564-018-0274-8
  • Pausch, P., Müller-Esparza, H., Gleditzsch, D., Altegoer, F., Randau, L.* and Bange, G.* (2017) (*co-corresponding authors) Structural variation of type I-F CRISPR RNA guided DNA surveillance. Mol Cell, 17, 622-632.
    https://doi.org/10.1016/j.molcel.2017.06.036

 

Bildnachweis: Science Bridge/Lennart Randau


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Kommentare

Eine Antwort zu „Wie Systeme funktionieren, die eigentlich nicht funktionieren können“

  1. Avatar von Francis W

    Hi thankss for sharing this