Ein Kommentar von Wolfgang Nellen
MIT Technology Review hat am 3. Dezember 2019 einen Artikel veröffentlicht, in dem Auszüge aus dem wissenschaftlichen Papier abgedruckt sind, das He Jiankui nach der Geburt von Nana und Lulu eingereicht hat. Der Bericht wurde aber von mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften nicht zur Publikation angenommen. Die Presse hat sich auf die „Neuigkeiten über die CRISPR-Babys“ gestürzt. Für die wissenschaftlichen Insider sind vielleicht ein paar neue Informationen darin enthalten, für die Öffentlichkeit kaum.
Alles was man weiß, war unmittelbar nach Bekanntwerden des Experiments öffentlich zugänglich. Wirklich neue Erkenntnisse gibt es nicht:
- He Jiankui hat das Gen CCR5 verändert, um eine (teilweise) HIV Resistenz zu erzeugen.
- Die Veränderung hat nicht ganz nach Plan und in einem der Kinder auch nicht vollständig funktioniert. Das hat er auf einer Konferenz im November 2018 beschrieben.
- Ob bzw. welche Nebeneffekte die nicht planmäßige Editierung und die unvollständige Editierung haben, weiß man heute so wenig wie im vergangenen Jahr.
- Spätestens Anfang 2019 stellte die wissenschaftliche Community einmütig fest, dass gentechnisch vermittelte Resistenz gegen HIV nicht sehr sinnvoll ist: Es gibt recht gute medikamentöse Behandlung und die Risiken einer Editierung sind (noch) sehr hoch.
- Ob die Eltern korrekt aufgeklärt wurden, ist fraglich. Auch das weiß man nicht genau.
- Neu ist vielleicht die Nachricht, dass die Ärzte, die die Embryos implantiert haben, möglicherweise nicht wussten, dass sie mit genom-editierten Embryonen arbeiteten.
Dass Wissenschaftler aus der westlichen Welt von dem Experiment wussten und mit He Jiankui darüber gesprochen haben, ist auch nicht neu. Welchen Beitrag sie geleistet haben oder wie energisch sie das Experiment abgelehnt haben, ist weitgehend unklar und zum Teil noch Gegenstand von laufenden Untersuchungen.
He Jiankui hat ein Experiment gemacht, das von der westlichen Welt sehr kritisch gesehen und als ethisch nicht akzeptabel eingeschätzt wird. Die Schlussfolgerungen, die er in der Diskussion seiner Daten zieht, sind nicht immer richtig. Ob er bewusst betrogen hat, halte ich für zweifelhaft.
Es liegt jetzt eher bei der chinesischen Regierung, die Nachrichtensperre zu beenden. An der Existenz der Kinder ist nichts mehr zu ändern. Es ist aber essentiell, dass die Wissenschaft die Folgen dieses äußerst fragwürdigen Experiments analysieren kann. Dabei sind die Rechte der Kinder unbedingt zu berücksichtigen! Versuche zur Genomeditierung werden, unabhängig von unseren ethischen Vorstellungen, in verschiedenen Ländern weitergehen. Die Ergebnisse dieses ersten Versuchs verschwinden nicht einfach, wenn man darüber schweigt.
Bildnachweis: Screenshot aus dem Video „About Lulu and Nana: Twin Girls Born Healthy After Gene Surgery As Single-Cell Embryos“: