Da stehen komische Geräte auf den Tischen, man trägt blaue Handschuhe und freut sich maßlos, wenn auf einem runden rosa Papier winzige blaue Punkte erscheinen. Annika Walter hat sich von Mariana Sanchez-Londono und Nathalie Klein erklären lassen, warum die beiden so begeistert von ihrer Arbeit an einem CRISPR-Cas Immunsystem sind, was sie dabei herausfinden und was sie noch herausfinden wollen.
Annika ist selbst Biologin, wenn auch auf einem ganz anderen Gebiet. Sie versteht einigermaßen was die beiden machen und hat es noch einmal für Nicht-Biologen vereinfacht.
Ob das jetzt wirklich verständlich ist? Wir sind gespannt!
Ein Immunsystem in Bakterien
Nicht nur wir Menschen, sondern auch Bakterien benötigen Mechanismen, um sich gegen unerwünschte Besucher wehren zu können. Dabei berufen auch sie sich auf ein Immunsystem, welches ebenso wie beim Menschen aus verschiedenen Bausteinen besteht, die auf unterschiedliche Funktionen spezialisiert sind und sich gegenseitig unterstützen.
Die menschliche Immunabwehr besteht grundsätzlich aus einer unspezifischen, angeborenen Immunantwort, die als Vorhut auf Patrouille die Umgebung inspiziert und potentielle Angreifer erkennt. Sie trifft erste Abwehrmaßnahmen und zieht dann die erworbene Immunantwort hinzu, eine besonders trainierte Spezialeinheit, die einen bestimmten Erreger erkennt und ausschaltet. Die Spezialeinheit wird nach erfolgreicher Abwehr in Reserve gehalten und kann bei einem erneuten, späteren Angriff des Erregers schnell aktiviert werde. Das Gegenstück zum erworbenen Immunsystem in Bakterien basiert auf dem CRISPR-Cas System, um sich gegen sogenannte mobile genetische Elemente zu wehren, wie z.B. Bakterien-spezifische Viren (Bakteriophagen) oder Plasmide (manchmal unerwünschte Nukleinsäure-Mitbewohner). Es besteht aus verschiedenen Systemen, Klassen, Typen und wiederum Untertypen. (Dieser Artikel gibt einen kleinen Einblick in die Vielfalt) Der berühmteste Vertreter ist hierbei Cas9, bekannt als sogenannte „Genschere“, die mit der Gentechnik oder Schreckgespenstern wie „Genmanipulation“ assoziiert wird – die natürliche Funktion wird oft vergessen. Während CRISPR-Cas tatsächlich schon lange nicht mehr als Werkzeug im Labor wegzudenken ist, steht die Anwendung solcher neuer Werkzeuge ganz am Ende der Wissenschafts-Pipeline. Bis es dahin kommt, bedarf es intensiver Grundlagenforschung, um diesen Weg zu ebnen. Wissenschaft hat bekanntlich einen langen Atem.
Wie erklärt man komplizierte Vorgänge halbwegs verständlich?
Insbesondere das CRISPR-Cas Typ IV-System beinhaltet noch viele offenen Fragen, deren Beantwortung sich Mariana Sanchez-Londono und Nathalie Klein (AG Lennart Randau, Marburg) in ihrer Doktorarbeit widmen. Das Typ IV-System wurde 2015 erstmals erwähnt, Funktion, Struktur und molekulare Mechanismen waren da noch in einen dichten Nebel gehüllt. Erst in den letzten Jahren schreitet die Charakterisierung und Einteilung dieses Systems stetig voran. Einen Überblick zum Typ IV-System gibt es im Artikel von Selina Rust.
„How to tell your grandma“: die Zellpolizei und das Fahndungsfoto
Als Wissenschaftler*in begegnet man regelmäßig der Frage: „sag mal, was machst du eigentlich?“. „Nun ja, Mariana und Nathalie beschäftigen sich mit Autoimmunität und Interferenzregulation der CRISPR Typ IV-A CRISPR-Cas Aktivität von Pseudomonas oleovorans“, könnte man entgegnen. Dabei stößt man aber nur auf große Augen voller Fragezeichen. Um ein vergleichsweise neues, dermaßen komplexes Themengebiet also zu bändigen, schlägt Mariana vor, das Ganze zunächst so zu erklären, wie sie es ihrer Oma beim gemütlichen Abendessen erzählen würde.
Wenn die Großmutter so verschreckt und verängstigt dreinschaut, dann hat die junge Wissenschaftlerin bei der Erklärung ihrer Arbeit etwas falsch gemacht!
Ihr Forschungsgebiet ist die Entschlüsselung des Typ IV-Systems, also einer der bakteriellen Mechanismen, um sich z.B. gegen Viren zu verteidigen, so wie auch Menschen es tun.
Der Unterschied zu Cas9 besteht vor allem darin, dass es sich beim Typ IV nicht um ein einzelnes Protein handelt, das den Angreifer erkennt. Stattdessen wird ein Komplex gebildet, der aus mehreren Proteinen zusammengesetzt ist, die separat produziert werden. Die Proteine bilden zusammen mit einer Leit-RNA (crRNA) einen Effektorkomplex (crRNP). Das ist eine molekulare Maschine die aus mehreren Bauteilen zusammengesetzt ist und den Job (die Abwehr des eingedrungenen Angreifers) erledigt. Die crRNA ist Teil des Effektorkomplexes und leitet ihn zielgenau zum Eindringling.
Stellen wir uns vor: der Proteinkomplex ist ein Polizist der Spezialeinheit. Um den Bösewicht zu finden, hat er ein Fahndungsfoto (die crRNA). Er zieht also auf Streife und hält Ausschau nach Ähnlichkeiten zu diesem Fahndungsfoto. Hat er den Bösewicht gefunden, geht der Typ IV Polizist aber anders vor, als seine Kollegen von Typ I oder Typ II. Diese enthalten eine Nuklease, ein Enzym, das die DNA des Eindringlings zerschneidet. Der Bösewicht wird praktisch auf der Stelle hingerichtet. Anders bei den Typ IV Polizisten: sie tragen keine Nuklease-Waffe und können den Eindringling nur festhalten, damit er kein weiteres Unheil anrichtet: der Proteinkomplex bindet an die fremde DNA und verhindert, dass sie sich vermehrt oder ihre eigenen Proteine produziert. Welcher exakte Mechanismus den Eindringling davon abhält, in der Zelle weiterhin sein Unwesen zu treiben und wie lange die Verhaftung wirksam ist, muss noch entschlüsselt werden.
In den letzten 6 Jahren, seitdem sich das Labor mit diesem System beschäftigt, wurde bereits aufgedeckt, wie viele und welche Proteine in der polizeilichen Streife beteiligt sind, wie sie aufgebaut sind, dass ein Fahndungsfoto benötigt wird und wie dieses auszusehen hat.
Zwischenbehördliche Zusammenarbeit: die Bibliothek der Fahndungsfotos
Bei der Inspektion von Polizeirevier Typ IV zeigte sich eine weitere Besonderheit: Der Spezialeinheit fehlt eine Kamera, um neue Fahndungsfotos aufzunehmen! In anderen Systemen gibt es ein sogenanntes Adaptationsmodul. Damit werden DNA Stücke aus einem Eindringling ausgeschnitten und in einer Bibliothek von „Fahndungsfotos“ hinterlegt. Aus der Bibliothek werden dann einzelne Fotos (crRNAs) kopiert und an die Patrouille verteilt. Das Typ IV Revier hat zwar eine Bibliothek, ist bei der Herstellung der Fahndungsfotos aber offensichtlich auf Amtshilfe von anderen Revieren angewiesen. Tatsächlich gibt es das
Revier IV immer nur zusammen mit weiteren Revieren eines anderen Typs. Dies legt einen Crosstalk, einen zwischenbehördlichen Austausch mit anderen CRISPR-Cas Systemen nahe. Was genau dahinter steckt muss noch entschlüsselt werden.
Bibliothek von Fahndungsfotos (sieht in Bakterien ein wenig anders aus – aber so ähnlich!)
Ein Saboteur im Revier IV?
Normalerweise ist jedes Fahndungsfoto spezifisch für ein Virus oder ein Plasmid. Aber beim Typ-IV-System ist das erste Foto in der Sammlung von einem unbescholtenen Bürger, d.h. hier wird nach einem ganz normalen Gen aus dem eigenen Genom gefahndet! Diese sogenannte self-targeting Sequenz entspricht sozusagen dem Befehl, sich selbst anzugreifen. Hat ein Saboteur das eingeschmuggelt? Dies ist wohl ein klassisches Beispiel aus der Forschung, wie eine Erkenntnis letztlich zu noch mehr Fragen führt.
Nun werden Hypothesen aufgestellt. Das sind aber keine wilden Spekulationen, sondern gut überlegte Vermutungen, die überprüfbar sind. Der „unbescholtene Bürger“ ist das Gen pilN, das an der Konstruktion bakterieller Pili involviert ist. Pili sind fadenförmige Anhängsel an Bakterien, die viele nützliche Funktionen haben. Unglücklicherweise benutzen auch manche Bakteriophagen die Pili als Eingangspforte! Ein Gen für die Pili (zeitweilig?) auszuschalten könnte deshalb als ein weiterer Abwehrmechanismus gegen Eindringlinge fungieren.
Beim menschlichen Immunsystem gibt es übrigens auch so ein self-targeting bei dem Antikörper gegen eigene Proteine hergestellt werden. Diese Autoimmunität ist aber ein Fehler, der zu schweren Erkrankungen führen kann. Das self-targeting im Typ IV-System scheint dagegen einen Nutzen zu haben.
Von der Grundlagenforschung zum praktischen Werkzeug
Mariana betont gerne, dass einer der schönsten Aspekte ihrer Arbeitsgruppe darin besteht, dass jede*r einen Teil des Puzzles bekommt, sodass sich letztlich das große Bild ergeben kann.
Natürlich ist das Ziel ihrer Forschung, dass die untersuchten und verstandenen Mechanismen irgendwie zu einer nützlichen Anwendung führen. Versteht man, was genau passiert, bieten sich Möglichkeiten, diese Prozesse für unsere Interessen zu kapern. Einige Bakterien, die insbesondere aufgrund ihrer vielfältigen Antibiotikaresistenzen eine Gefahr darstellen, wie Klebsiella pneumoniae oder Pseudomonas aeruginosa, beinhalten das Typ-IV-System. Da sich die Resistenzgene vor allem auf Plasmiden befinden, ist es eine aussichtsreiche Interventionsmöglichkeit die Maschinerie, die ohnehin in den Bakterien vorhandenen ist, zur Ausschaltung von Resistenzplasmiden zu nutzen. Damit könnte das große Problem der Antibiotikaresistenzen gelöst werden. Doch bis es soweit ist, werden sich Mariana, Nathalie und ihre Kolleg*innen noch einigen Puzzleteilen widmen müssen.
Autor:
Annika Walter
Abbildungen:
BioWissKomm by Midjourney
Fotos: Nathalie Klein und Mariana Sanchez-Londono