Unter „CRISPR-Cas“ verstehen die meisten die „Genschere“ Cas9, die in der Pflanzenzüchtung und der Medizin spektakuläre Anwendungen findet. Aber es gibt eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Systeme, die in Klassen, Typen und Untertypen aufgeteilt werden. Dabei zeigen sich seltsame und unerwartete Eigenarten und Funktionen. So liegt es meistens nicht im Bakteriengenom vor, sondern wird durch Plasmide eingeschleust. Und es ist oft gegen andere Plasmide gerichtet, ein „Kriegsschauplatz“, auf dem Plasmide miteinander konkurrieren. Noch ungewöhnlicher: das Typ-IV-System kann auch gegen Gene des eigenen Bakteriengenoms gerichtet sein. Ein „Feind im Inneren“? Oder gibt es auch Nutzen für das Bakterium? Auf jeden Fall gibt es viele offene Fragen und möglicherweise sogar medizinische Anwendungen.
In „The enemy inside“ beschreiben Selina Rust und Meral Kara aus dem Labor von Lennart Randau (Univ. Marburg) hier das Typ IV System, das mit einer „Genschere“ nicht viel zu tun hat.
Der Artikel enthält, wie bei wissenschaftlichen Publikationen üblich, eine ausführliche Referenzliste. Diese Arbeiten sind für Wissenschaftler geschrieben und für Laien meist ziemlich unverständlich. Die Liste soll in erster Linie demonstrieren, wie wissenschaftliche Arbeiten auf einander aufbauen und dass kein Wissenschaftler isoliert im „stillen Kämmerlein“ forscht.
Eine auch für Laien lesbare Arbeit über andere CRISPR-Cas-Systeme ist hier zu finden.
Entdeckung der verschiedenen Typ-IV-CRISPR-Cas-Systeme
Das Typ-IV-System wurde 2015 erstmal als eigenes CRISPR-Cas-System in Acidithiobacillus ferrooxidans erwähnt. Hier waren Mechanismus, Struktur und mögliche Anwendungen gänzlich unbekannt. Was sind die Besonderheiten der Typ IV Systeme?
- Wie auch bei einigen Typ-III-Systemen werden keine Adaptationsproteine (Cas1, Cas2) codiert. Das sind die Enzyme, die DNA Stücke z.B. aus einem Virus ausschneiden und in den CRISPR-Array einbauen.
- Die CRISPR-Arrays liegen oft nicht direkt neben den Cas-Genen oder sie fehlen gänzlich.
- Typ IV Systeme sind meistens nicht im Bakteriengenom sondern auf Plasmiden oder Prophagen codiert.
- Typ IV Systeme enthalten keine Nuklease (wie z.B. Cas 3 oder Cas 9), die die Ziel DNA (oder RNA zerschneidet. Sie wirken durch einen Interferenz-Mechanismus (s.u.).
- Das crRNP (der Effektorkomplex) ist, anders als bei Cas9, aus mehreren Proteinen zusammengesetzt.
Bereits 2015 wurde zwischen zwei Typ-IV Subtypen unterschieden1. Im Laufe der Jahre wurden mehr und mehr Typ-IV-CRISPR-Cas-Systeme entdeckt, deren genomische Architektur starke Unterschiede aufwies. Aufgrund dessen wurde 2020 die Einteilung des Typ-IV-Systems in fünf Subtypen vorgeschlagen (Abb. 1).
Abb. 1: Vorgeschlagene Klassifizierung der Typ-IV-CRISPR-Cas Systeme nach Pinilla-Redondo et al. 2020.
Die Abbildung zeigt, welche Diversität bereits im Typ IV System der Klasse 1 auftritt. Wir gehen nicht auf die Details ein – man sieht jedoch, dass z.B. IV-B keinen CRISPR-Array hat und IV-C nur manchmal.. IV-A1, A2 und A3 sowie IV-E haben das dinG Gen gemeinsam. Gene oder CRISPR-Arrays, welche nicht in allen Operons vorkommen, werden durch unterbrochene Linien dargestellt. Die Anzahl an identifizierten CRISPR-Loci wird rechts neben der Bezeichnung des Subtyps aufgeführt. Die postulierte Evolution der cas-Gen-Operons wird links gezeigt.
Überblick zum Typ-IV-A1-CRISPR-Cas System
In unserer Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns seit 2016 mit dem Typ-IV-CRISPR-Cas System. Zunächst wurde das Typ-IV System von Aromatoleum aromaticum EbN1 untersucht. Hier bekamen wir erste Einblicke in die Funktion und den Aufbau von Csf5, dem Cas6 assoziierten Protein, welches unerlässlich für die Reifung von crRNAs ist3, d.h. die crRNA auf die passende Länge zuzuschneiden, Die Experimente von Crowley et al. zeigten, dass das Typ-IV-A1-System Plasmide effizient abwehren kann.
Einschub: Plasmide
Plasmide sind ähnlich wie Phagen, infektiöse, „selbstsüchtige“ Nukleinsäuren. Sie zerstören die Zelle zwar nicht, aber sie sind molekulare Parasiten, die wertvolle Ressourcen verbrauchen. Es kann sich deshalb für ein Bakterium lohnen, sie abzuwehren. Verschiedene Plasmide stehen in Konkurrenz untereinander. Es ist schlecht, wenn ein Plasmid seinen Wirt mit einem Konkurrenz-Plasmid teilen muss. Ein Plasmid, das ein CRISPR-Cas System aufgenommen hat und damit andere Plasmide an der Vermehrung hindern kann, ist klar im Vorteil!
Andererseits können Plasmide für eine Zelle durchaus nützlich sein, weil sie oft Resistenzgene und auch andere nützliche genetische Information tragen. Die „Interessenabwägung“ zwischen Bakterien und Plasmiden ist äußerst komplex!
Um biologische Funktionen zu verstehen, hilft es oft, ähnliche Systeme in verschiedenen Organismen zu untersuchen. Neben Aromatoleum aromaticum konzentrierten wir deshalb unsere Arbeit auch auf Pseudomonas oleovorans. RNA-Sequenzierungsdaten zeigten, dass das Typ-IV-A1 Systems 8 nt lange, 5′-terminale Repeat-Tags der reifen crRNAs erzeugt. Dafür wird das CRISPR-Array-Transkript an der Basis der Haarnadelstruktur der einzelnen Repeats durch Csf5 geschnitten. Außerdem konnte gezeigt werden, dass neben dem Typ-IV-A1 System auch zwei weitere CRISPR-Cas-Systeme aktiv sind: Typ I-E und Typ I-F. Das Typ IV-A1 System ist mit einer 5′-AAG-3′ PAM (zur Erklärung) assoziiert, welche sich am 5′-Ende des Strangs befindet, der nicht von der crRNA gebunden wird. Das Typ I-E System verwendet die gleiche PAM, wobei die Adaptationsmodule dieses Systems auch für Typ-IV-A1 verwendet werden5.
Typ-IV-A1 in Aktion
Der Typ-IV-A1 CRISPR-Array enthält 20 Spacer mit eine Länge von 32 nt. Der erste Spacer hat eine perfekte Basenkomplementarität zu einem Bereich im Gen pilN im Genom von P. oleovorans. Durch dieses potenzielle, sogenannte „self-targeting“ werden viele Fragen aufgeworfen. Fest steht zunächst, dass pilN nicht essenziell für das Überleben von P. oleovorans ist, eine Zerstörung des Gens also nicht tödlich wäre. Es zeigte sich aber auch, dass das Typ-IV-A1-System nicht in der Lage ist, seine Ziele zu schneiden oder gar zu degradieren (Abb. 2).
Abb. 2: Aktivität und Aufbau des Typ-IV-A1-CRISPR-Cas-Systems von Pseudomonas oleovorans.
Der erste Spacer ist identisch zu einer DNA-Sequenz des Wirts-Gens pilN. Die spezifische Bindung des crRNP auf dem eigenen Genom führt zu einer CRISPR-Interferenz im eigenen Genom ohne Abbau der DNA. Abbildung aus Klein et al. (2022).
Die Aktivität des Systems wurde im rekombinanten System in E. coli BL21 rekonstruiert und getestet. Hier wurden crRNAs verwendet, die das lacZ Gen als Ziel haben. Wenn das Typ-IV-A1 System eine Aktivität zeigt, sollte das an einer Änderung der Expression der Beta-Galactosidase erkennbar sein. Da dieses Protein verantwortlich für die Spaltung von X-Gal ist, wurde die Aktivität des CRISPR-Systems mittels Blau-Weiß Screening analysiert. Abb. 3A zeigt, dass es viele weiße Kolonien gibt, die folglich wenig oder keine Beta-Galactosidase produzieren. Dabei ist es egal, ob die crRNA gegen den codierenden oder den nicht-codierenden Strang gerichtet ist. In Abb. 3C erkennt man, dass trotz Unterdrückung der Beta-Galaktosidase Expression, in den weißen Kolonien das lacZ Gen ebenso in Takt ist, wie in den blauen. Als Kontrolle wurde das gleiche Experiment mit dem Typ-I-C System durchgeführt, von dem man weiß, dass es DNA zerschneidet. Hier ist das lacZ Gen (Abb. 3C, rechts) in den weißen Kolonien nicht mehr nachweisbar.. Offensichtlich konnte die Expression der Gene gesteuert werden und CRISPRi-ähnliche Aktivität hervorgerufen werden5 (zur Erklärung).
D.h. das crRNP bindet an das Gen und verhindert oder reduziert so die Transkription. Ob es sich dabei um eine einfache Blockade wie bei dem künstlichen CRISPRi-System handelt, oder ob andere Mechanismen wirken, weiß man noch nicht.
Abb. 3: CRISPR-Interferenz von rekombinanten Typ-IV-A crRNPs in E. coli.
A) Repräsentatives Blau-Weiß-Screening von E. coli BL21-AI-Zellen, die entweder rekombinante Typ I-C oder Typ IV-A crRNPs produzieren. Die einzelnen crRNAs zielen auf lacZ. Eine crRNA ohne lacZ-Target diente als Negativkontrolle.
B) Quantifizierung des beobachteten Prozentsatzes blauer Kolonien für alle gezählten Kolonien.
C) Repräsentative PCR-Amplifikation eines 900 bp lacZ-Produkts. Alle untersuchten Kolonien zeigten die Abwesenheit von lacZ nach Typ I-C-CRISPR-Cas Genom-Editierung, während alle weißen Kolonien mit Typ IV-A-crRNPs lacZ beibehielten. Abbildung aus Guo und Sanchez-Londono et al. (2022).
CasDinG – Ein wichtiges Protein für Typ-IV-A-Aktivität
Das CRISPR-assoziierte DinG-Protein (CasDinG) ist für die CRISPR-Funktion des Typ-IV-A-CRISPR-Systems unerlässlich. 2023 gab es erste Einblicke in die Struktur und Funktion des CasDinG Proteins aus Pseudomonas aeruginosa8. Es wurde zudem erstmals eine Struktur des Typ-IV-A1-Systems veröffentlicht. Hier wird ersichtlich, dass das assoziierte CasDinG Protein tatsächlich eine bedeutsame Rolle spielt und eine Bindung mit dem Typ-IV-A1-Komplex eingeht. Dabei entwindet DinG die doppelsträngige DNA und bindet mit der nicht von der crRNA-gebundenen, einzelsträngigen DNA7.
CasDinG ist eine ATP-abhängige 5′-3′-DNA-Translokase (oder auch Helikase), die doppelsträngige DNA und RNA/DNA-Hybride entwindet. Es wurde die eher unspezifische PAM-Sequenz 5′-GNAWN-3′ ermittelt (G und A stehen wie üblich für Guanin und Adenin, N für jede beliebige Base und W für Adenin oder Thymin). Die Funktion einer ungewöhnlichen N-terminalen Domäne konnte noch nicht geklärt werden, jedoch führte die Deletion der Domäne nicht zu einer Beeinträchtigung der wichtigen Aktivitäten von CasDinG. Ob die N-terminale Domäne für andere Funktionen zuständig ist, ist ungeklärt. Strukturvorhersagen deuten jedoch auf Interaktion mit doppelsträngiger DNA8.
Wir nähern uns dem Verständnis der Typ-IV Systeme, aber es gibt noch viel zu tun, um ihre Funktion in der Bakterienzelle genau zu verstehen. Trotzdem zeichnen sich schon jetzt mögliche Anwendungsgebiete ab.
Mögliche Anwendungsgebiete des Typ-IV-CRISPR-Cas-Systems
Durch die gentechnische Verwendung von CRISPR-Cas-Systemen wurden gezielte Eingriffe in Genome revolutioniert. Das Typ-IV-System kann durch die eher unspezifische PAM-Sequenz in einem deutlich breiten Spektrum möglicher Ziel-DNA als Cas9 genutzt werden5,8. Die Fähigkeit des Typ-IV-A-CRISPR-Cas-Systems, die Genexpression des Wirts zu regulieren, ermöglicht eine programmierbare, sequenzspezifische CRISPRi-Strategie, bei der die DNA nicht geschnitten und die Sequenz nicht verändert wird. Typ IV-CRISPR-Cas-Systeme kommen häufig in Krankenhauskeimen, wie Pseudomonas oder Klebsiella, vor und haben meist Plasmide als natürliche Zielsequenzen. Da diese oft verschiedene Resistenzen gegen Antibiotika vermitteln, besteht hier ein Therapieansatz durch Verwendung synthetischer crRNA in Kombination der natürlich vorkommenden CRISPR-Systeme. Bakterienstämme innerhalb komplexer bakterieller Populationen können so nachweislich selektiv eliminiert werden9.
Referenzen
2. R. Pinilla-Redondo, D. Mayo-Muñoz, J. Russel, R. A. Garrett, L. Randau, S. J. Sørensen, and S. A. Shah, “Type IV CRISPR–Cas systems are highly diverse and involved in competition between plasmids,” Nucleic Acids Res 48 (4), 2000–2012 (2020).
4. V. M. Crowley, A. Catching, H. N. Taylor, A. L. Borges, J. Metcalf, J. Bondy-Denomy, and R. N. Jackson, “A Type IV-A CRISPR-Cas System in Pseudomonas aeruginosa Mediates RNA-Guided Plasmid Interference In Vivo,” The CRISPR Journal 2 (6), 434–440 (2019).
6. N. Klein, S. Rust, and L. Randau, “CRISPR-Cas-Systeme der Klasse 1: Genome Engineering und Silencing,” BIOspektrum 28 (4), 370–373 (2022).
7. N. Cui, J.-T. Zhang, Y. Liu, Y. Liu, X.-Y. Liu, C. Wang, H. Huang, and N. Jia, “Type IV-A CRISPR-Csf complex: Assembly, dsDNA targeting, and CasDinG recruitment,” Molecular Cell 83 (14), 2493-2508.e5 (2023).
Cover-Abbildung: BioWissKomm by Midjourney
Alle anderen Abbildungen wurden von den Autoren zur Verfügung gestellt.