Wir haben nachgefragt

In einer weiteren Folge unsere Reihe „Wir haben nachgefragt“ nehmen wir euch mit ins schöne Marburg, genauer gesagt an die Philipps-Universität hoch über den Dächern der Stadt. Hier tüftelt Christopher-Nils Mais im Labor von Gert Bange, seinerseits Leiter einer Forschungsgruppe im SPP2141, seit 2018 an seiner Doktorarbeit. Nach dem Besuch der Tilemannschule in Limburg hat sich Nils für das spannende Studium der Chemie entschieden. Während er sich in seiner Bachelorarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jörg Sundermeyer noch mit der klassischen Stoffsynthese beschäftigte, ging es dann in der Masterarbeit im „Bange-Lab“ und in Zusammenarbeit mit dem Mikrobiologen Prof. Dr. Erhard Bremer verstärkt um biochemische Fragestellungen zur Funktion und Struktur von Proteinen aus salzliebenden Bakterien

Hallo Nils! Schön, dass Du bei unserem Interview mitmachst. Gab es denn in Deiner Vergangenheit ein besonderes Erlebnis, durch das Du zur Wissenschaft gekommen bist?

Ich hatte schon in der Schule ein großes Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern, insbesondere an der Chemie. Nach einem Praktikum bei meinem Patenonkel, der zum damaligen Zeitpunkt in der Medikamentenentwicklung der Bayer AG am Standort Wuppertal gearbeitet hat, stand für mich fest: Ich will Chemie studieren! Damit war die Sache klar…

Das klingt sehr fokussiert. Dann war es auch schon immer Dein Plan, Forschung zu machen?

Mit dem reformierten Bachelor-/Mastersystem fällt es leicht, sich im Studium von Klausur zu Klausur zu hangeln, ohne sich die große Frage zu stellen: Was mache ich damit am Ende eigentlich? Bis zum Beginn meiner Masterarbeit war ich so immer dem gefolgt, was mir im Moment am interessantesten erschien, ich konnte so Eindrücke aus verschiedenen Fachrichtungen sammeln. Angeregt durch mehrere Gespräche mit Gert Bange, meinem jetzigen Chef, wurde mir klar, dass ich weiterhin in der akademischen Forschung bleiben möchte.

War CRISPR dann für Dich ein komplett neues Thema, oder bist Du schon während Deiner Masterarbeit damit in Kontakt gekommen? Was war Ausschlag gebend für Dich, in diesem Bereich zu promovieren?

Ich hatte das Glück, während meiner Masterarbeit noch einige Zeit mit meinem Vorgänger Patrick Pausch zusammen im Labor zu stehen, dadurch konnte ich bereits etablierte Methoden für den Umgang mit CRISPR-Komplexen übernehmen. Auch durch diese Einblicke war ich mir sicher, ein Thema gefunden zu haben, das mich für die folgenden drei Jahre interessieren wird.

Biochemie und CRISPR-Cas sind ja für sich genommen schon sehr komplexe Themen, Du hast Dich sogar für deren Kombination entschieden – das klingt super anspruchsvoll! Kannst Du unseren Lesern mit wenigen Sätzen erklären, um was es bei Deinem CRISPR-Cas SPP-Projekt geht?

Ein Typ I-Fv Cascade Komplex, mittels Cryo-Elektronenmikroskopie abgebildet. Man kann die CRISPR-RNA (blau) erkennen, die von verschiedenen Proteinen umgeben ist. Der fertige Komplex ist in der Lage, DNA zuerkennen und gezielt abzubauen. Die zugrundeliegenden Daten hat Nils in Bordeaux, am Europäischen Institut für Chemie und Biologie (IECB), aufgenommen und anschließend in Marburg graphisch dargestellt.

CRISPR-Cas Systeme kann man sich als molekulare Maschinen vorstellen, die Gensequenzen erkennen, speichern und später wieder gezielt schneiden können. Unter anderem ist dies hilfreich, um sich als Bakterium gegen die Infektion von Phagen (Viren, die Bakterien befallen) zu verteidigen. Im Laufe der Evolution ist eine große Vielfalt an solchen Systemen entstanden, die nach verschiedenen Mechanismen funktionieren. Ich versuche nun mit strukturbiologischen und biochemischen Methoden, diese Mechanismen aufzuklären. Dies geschieht häufig in Kollaboration mit anderen Arbeitsgruppen, die diese Systeme erstmals entdecken und dann gerne mehr darüber erfahren möchten. Im Zuge dieses SPP-Projektes ist es mir so gelungen, einen neuen CRISPR-Komplex bei der Arbeit abzubilden – in einer Auflösung, die es ermöglicht, einzelne Atome genau zu lokalisieren. Dieser Komplex ist hier auf der rechten Seite dargestellt.

Wie kann man denn solch winzige Strukturen überhaupt „sichtbar“ machen? Da steckt doch vermutlich eine hochsensitive Technik dahinter, oder? Kannst Du unseren Leserinnen und Lesern das etwas genauer beschreiben und auch, was genau Dich daran besonders fasziniert?

Dazu stehen uns in erster Linie zwei Methoden zur Verfügung: Cryo-Elektronenmikroskopie, wie sie für den oben gezeigten Komplex verwendet wurde, sowie Kristallographie – letztere verwende ich hauptsächlich. Mit Kristallographie lässt sich die Struktur eines Proteins auf atomarer Ebene beschreiben. Zunächst benötigt man hierfür „größere“ Mengen (ein paar Milligramm) des zu untersuchenden Proteins, in der Regel gewinnen wir dieses mit Hilfe von E. coli-Bakterien. Dieses mischt man mit verschiedensten Salzlösungen und erhält so mit etwas Glück Proteinkristalle, in denen die einzelnen Moleküle regelmäßig angeordnet sind. Diese Kristalle bestrahlen wir dann mit einer besonderen Röntgenstrahlung, die in Teilchenbeschleunigern (Synchrotrons wie das BESSY II in Berlin oder das DESY in Hamburg) erzeugt wird. Auf einem Detektor lässt sich dann ein spezifisches Muster einfangen, aus dem man schließlich mit Hilfe verschiedener Algorithmen ein Model errechnen lässt. Man kann also am Ende des Experiments genau sagen wo sich die verschiedenen Atome, aus denen das Protein besteht, relativ zueinander befinden. Das hat etwas Absolutes und ist enorm hilfreich beim Verständnis neuer CRISPR-Systeme.

Was war das schönste oder aufregendste Ergebnis Deiner Arbeitsgruppe in der letzten Zeit?

Wenn man einen Durchbruch in einem Projekt erzielt, ist das immer eine wunderbare Sache. Konkret erinnere ich mich hier zum Beispiel an ein sonntägliches Brainstorming mit meinem Chef, an dessen Ende wir endlich die zündende Idee hatten, wie man zwei Enzyme – mit denen ich mich bereits in meiner Masterarbeit beschäftigt hatte – auf Aktivität testen kann. Als ich die entsprechenden Experimente dann durchführte, war es uns tatsächlich möglich, diese endlich vollständig zu charakterisieren.

Du arbeitest auch sonntags? Oder ist das einfach die beste Zeit, um sich neu zu fokussieren und die Arbeit der nächsten Woche zu planen?

Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn noch letzte Daten für eine Veröffentlichung fehlen, lege ich mir komplette Experimente auf das Wochenende. Da ich viel mit lebenden Bakterien arbeite, kommt es aber häufig vor, dass ich kurz im Labor vorbeischaue und diese für den nächsten Tag kultiviere. Meine Wochen plane ich in der Regel schon Mitte der Vorwoche, um montags alles Notwendige zur Hand zu haben.

Wie würdest Du Deinen Alltag beschreiben? Gibt es da überhaupt sowas wie „einen durchschnittlichen Tag“ oder „eine durchschnittliche Woche“?

Das ist stark davon abhängig, welche Experimente anstehen. Einen durchschnittlichen Tag oder eine Woche zu beschreiben ist daher eher schwierig.

Gibt es etwas, das Du an Deinem Beruf besonders schätzt? Was würdest Du verbessern, wenn Du könntest?

Die Abwechslung und die Flexibilität im Berufsalltag sind auf jeden Fall etwas, das ich sehr zu schätzen gelernt habe. Dafür sind die Beschäftigungsverhältnisse – soweit ich das aus meiner Position beurteilen kann – durchaus verbesserungswürdig. Um weiter die akademische Laufbahn zu verfolgen, werde ich mich nun einige Jahre mit befristeten Stellen durchschlagen und beweisen müssen.

Wenn Du mit einer Zeitmaschine zurück zu Deinem Abi reisen könntest: Würdest Du im Anschluss daran nochmal diese Laufbahn einschlagen oder eher etwas ganz anderes machen?

Ich bin sehr zufrieden mit meiner bisherigen Laufbahn und würde wohl nur Kleinigkeiten während des Studiums ändern.

Der Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes besagt, die Wissenschaft ist frei. Inwieweit trifft das auf Deine wissenschaftliche Arbeit zu? Kannst Du Deine Projektthemen selbst bestimmen?

In meiner jetzigen Position bin ich natürlich noch davon abhängig, welche Projekte mein Chef als sinnvoll erachtet bzw. an mich heranträgt. In der konkreten Umsetzung habe ich jedoch freie Hand, was ich sehr zu schätzen weiß.

Beteiligst Du Dich auch in der Lehre, also an der Ausbildung des wissenschaftlichen
Nachwuchses? Machst Du das gern, oder ist das eher eine Tätigkeit, die z.B. Deine eigene Forschung zeitlich negativ beeinflusst und somit eher „lästig“ ist?

Ich habe schon als Student Geld dazu verdient, indem ich Übungen oder Praktika betreut habe – ein netter Nebeneffekt war stets auch, dass man sich nochmals mit dem Stoff beschäftigen musste. Praktika zu betreuen bedeutet natürlich stets einen nicht unerheblichen Zeitaufwand, aber schließlich habe ich auch in der Vergangenheit von der Betreuung durch andere Doktoranden profitiert. Master- und Bachelorstudenten bei Forschungspraktika oder ihren Abschlussarbeiten in unserem Labor zu betreuen ergibt stets eine wunderbare Synergie, aus der schon so einige Erkenntnisse entsprungen sind.

Du sagtest eingangs, dass Dir ein Praktikum in der Medikamentenentwicklung bei der Bayer AG in Wuppertal bei Deiner Entscheidung für ein Chemie-Studium geholfen hat. Warum bist Du nach dem Studium nicht in die Industrie gegangen?

In den bereits erwähnten Gesprächen mit meinem Chef stellte er mir die einfache Frage: „Wo siehst du dich in 10 Jahren?“. Meine Antwort darauf war recht eindeutig: Etwas Neues entdeckt zu haben und stets noch zu forschen!

Das bedeutet, dass Du auch nach der Promotion und vielleicht sogar auch darüber hinaus aktiv in der Forschung bleiben möchtest? Wäre da sogar die Habilitation ein nächster Schritt?

Nach meiner Promotion werde ich mich definitiv um PostDoc-Stellen an Universitäten bewerben, um weiter forschen zu können und meine Fähigkeiten zu erweitern. Darauffolgend wäre dann eine eigene Forschungsgruppe das nächste Ziel.

Woran würdest Du forschen, wenn eine Fee Dir Dein Traumlabor mit der tollsten
Ausstattung, unendlich viel Geld und unendlich viel „Manpower“ aus dem Zauberstab schnipsen würde?

Eine interessante Frage, auf die ich sicherlich in ein paar Jahren konkreter antworten werde. Mit einer solchen Grundlage ließe sich natürlich das Projekt beginnen, sämtliche Prozesse in einer Zelle auf molekularer Ebene zu verstehen und miteinander in Bezug zu bringen. Ob das aufgrund der enormen Komplexität überhaupt machbar ist, ist eine andere Frage.

Ok, wir werden uns diese Frage aufheben 😉 Aber gehen wir mal raus aus der Uni: Gibt es Dinge, die Dir gerade in der doch etwas einschränkenden „Corona-Zeit“ in Deiner Freizeit besonders wichtig sind? Machst Du auch mal Urlaub?

Im Moment genieße ich es, an den Wochenenden Wanderungen mit meiner Freundin und ihrem Hund zu unternehmen. Ansonsten spiele ich Tischtennis in einem Verein. Und mal abgesehen von der aktuellen Pandemie bin ich in den vergangenen Jahren stets eine Woche mit Freunden Ski gefahren. Schon seit einer ganzen Weile steht ein längerer Trip mit dem Zug durch den Balkan auf meiner „To-Do-Liste“.


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