Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2020 an Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna

Am 07. Oktober war es endlich soweit – die Trägerinnen des diesjährigen Chemie-Nobelpreises wurden bekannt gegeben. Und es kam so, wie viele es vermutet hatten. Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, die zwei Biologinnen, die durch ihre bahnbrechende Veröffentlichung zu CRISPR/Cas9 2012 zu „Weltstars“ aufgestiegen waren (Jinek et al., 2012), werden nun mit dem prestigeträchtigen Nobelpreis ausgezeichnet. Sicherlich fragt sich der ein oder andere, warum es hier um den Chemie-Nobelpreis geht – tja, einen Nobelpreis für Biologie gibt es genauso wenig wie einen Nobelpreis für Mathematik. Daher erhalten Biologinnen und Biologen oftmals den Nobelpreis für Chemie oder den für Physiologie oder Medizin. In diesem Jahr erhalten interessanterweise erstmals zwei Frauen den Chemie-Nobelpreis, obwohl dieser seit mehr als 100 Jahren verliehen wird. Ein Armutszeugnis für die Naturwissenschaften. Umso wichtiger, dass Charpentier und Doudna dieses Jahr ausgezeichnet werden und als Vorbilder für künftige Naturwissenschaftlerinnen fungieren. Im Folgenden werden wir die zwei Wissenschaftlerinnen kurz vorstellen und ihren Weg zum Nobelpreis umreißen.

Emmanuelle Charpentier studierte Mikrobiologie und Genetik an der Universität Pierre und Marie Curie in Paris. Sie erhielt 1995 ihren Doktortitel (PhD) in Mikrobiologie und startete ein Jahr später als Postdoc unter anderem an der Rockefeller University in New York. Seit 2018 leitet Charpentier die Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin. In ihrer Forschung befasst sie sich mit Regulationsmechanismen, die Infektionsprozessen pathogener Bakterien zugrunde liegen. Ein besonderer Fokus ihrer Forschung lag auf der Fähigkeit bakterieller Krankheitserreger, sich selbst gegen fremde, in die Bakterienzelle eingedrungene, DNA zu verteidigen. Dies passiert insbesondere durch Bakteriophagen, also Viren, die Bakterien angreifen und ihre DNA in das Bakterium einschleusen. 2011 veröffentlichte sie die Entdeckung der sogenannten tracrRNA (trans-activating crRNA) in dem Bakterium Streptococcus pyogenes, dem Erreger der Tonsillopharyngitis und des Scharlachs (Deltcheva et al., 2011).

Jennifer A. Doudna ist eine US-amerikanische Biochemikerin und Molekularbiologin, die sich mit der Aufklärung komplexer Strukturen katalytisch wirkender RNA (sogenannte Ribozyme) befasst. Sie erhielt ihren PhD 1989 an der Harvard University im Labor von Jack Szostak, der selbst 2009 für seine Arbeiten über die Telomerase mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet wurde. Doudna entwickelte eine Methode zur Kristallisation großer RNA-Moleküle, die die Aufklärung ihrer dreidimensionalen Struktur ermöglichte. Dazu kombinierte sie die in vitro-Synthese von RNAs mit der sogenannten „sparse-matrix-Methode, wobei eine Matrix verwendet wird, die auf empirischen Untersuchungen basiert und vielversprechende Kristallisierungsbedingungen zusammenfasst. So konnte sie zum Beispiel die Struktur des RNA-Moleküls, das den Kern des Ribonukleoproteinkomplexes SRP, dem sogenannten „signal recognition particle, bildet, aufklären (Batey et al., 2000). Diese Arbeiten trugen zu einem tieferen Verständnis der RNA-Funktion bei der Katalyse und der Proteinbiosynthese bei. Des Weiteren publizierte sie nicht nur die Struktur des Cas1-Proteins von Pseudomonas aeruginosa (Wiedenheft et al., 2009), sondern auch die Struktur des Cascade (CRISPR-associated complex for antiviral defence)-Komplexes von Escherichia coli (Wiedenheft et al., 2011). Dabei handelt es sich um einen Komplex aus mehreren Untereinheiten, der E. coli vor Angriffen durch Bakteriophagen schützt. Jennifer Doudna war ebenfalls an der Entwicklung der CRISPR-Interferenz (CRISPRi) beteiligt (Qi et al., 2013).

Der Durchbruch erfolgte 2012, als sich Charpentier und Doudna zusammen taten und die Anwendung der CRISPR/Cas-Methode zur gezielten Veränderung des Genoms (Genom-Editierung oder Genomchirurgie) in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten (Jinek et al., 2012). In diesem Artikel beschrieben beide Wissenschaftlerinnen wie zwei RNAs, die crRNA und die tracrRNA, die DNA-Endonuklease Cas9 zielgerichtet zu einer spezifischen DNA-Sequenz leiten, um diese zu schneiden.

Warum wurde der Nobelpreis vergeben?

Das Nobelpreis-Komitee in Stockholm begründete die diesjährige Auszeichnung damit, dass die Genom-Editierungs-Methode CRISPR/Cas9 die molekularen Lebenswissenschaften revolutioniert hat. Sie erlaube neue Möglichkeiten für die Pflanzenzüchtung, innovative Krebstherapien und schürt die Hoffnung, dass Erbkrankheiten in Zukunft geheilt werden könnten. Mit Hilfe von CRISPR/Cas ließe sich die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen mit höchster Präzision verändern. Die entscheidende Entdeckung erfolgte 2011/2012 durch Charpentier und Doudna.

Francis Mojica – der „übergangene Forscher

Nobelpreise wurden bisher an ein, zwei oder maximal drei Personen gleichzeitig vergeben. Dabei kommt der eine oder andere Forscher, der in der gleichen Richtung gearbeitet hat, möglicherweise zu kurz. In Bezug auf die CRISPR/Cas-Methode machte sich der spanische Biologe Francis Mojica ebenfalls Hoffnung auf eine Auszeichnung und diese Hoffnung war nicht ganz unbegründet. Mojica gilt schließlich als der „Vater der Genschere, da er CRISPR vor 30 Jahren entdeckte und so die Basis für die späteren Arbeiten von Charpentier und Doudna schuf. Der Mikrobiologe beschäftigte sich mit dem Bakterium Haloferax mediterannei und fand heraus, dass sich in dem bakteriellen Genom Sequenzen auffällig oft wiederholten (Mojica et al., 1993), so wie es erstmals 1987 von einer japanischen Forschergruppe für Escherichia coli beschrieben wurde (Ishino et al., 1987). Schließlich entdeckte Mojica, dass diese Wiederholungssequenzen Teil eines bakteriellen Immunsystems zum Schutz vor Viren war. Mojica bezeichnete die repetitiven DNA-Sequenzen noch als „short regulary spaced repeats“ (SRSR) und über die Jahre wurden weitere Namen verwendet bis letztlich niederländische Forscher diese Sequenzbereiche erstmals als „clustered regularly interspaced palindromic repeats“ oder kurz „CRISPR“ bezeichneten (Jansen et al., 2002).

Auch wenn Mojica nicht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, so hatte er doch einen erheblichen Anteil an diesem wissenschaftlichen Durchbruch. Ebenso wie Barrangou und Mitarbeiter für den Joghurthersteller Danisco zeigen konnten, dass CRISPR/Cas in Milchsäurebakterien eine Art adaptive Immunabwehr gegen Bakteriophagen darstellt (Barrangou et al., 2007).

Charpentier und Doudna griffen diese Vorarbeiten auf und erkannten das Potenzial der CRISPR/Cas-Methode zum molekularbiologischen, biotechnologischen oder medizinischen Einsatz. Natürlich haben auch andere Forscher an CRISPR/Cas gearbeitet. Einen guten Überblick hierzu gibt ein Artikel von Eric Lander (Lander, 2016).

Der Streit um die Patentrechte

Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle ein Streit um die Patentrechte an der CRISPR/Cas-Methode. Dieser Streit tobt zwischen Charpentier und Doudna auf der einen Seite und Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf der anderen Seite. Während die zukünftigen Nobelpreisträgerinnen bereits 2012 kurz nach ihrer bahnbrechenden Veröffentlichung ein Patent angemeldet hatten, meldete Zhang 2013 ebenfalls ein CRISPR-Patent an. Wie konnte das sein? Zhang publizierte 2013 back-to-back mit seinem ehemaligen Chef George Church von der Harvard University, die erstmalige Anwendung von CRISPR an menschlichen Zellen und Mauszelllinien (Cong et al., 2013; Mali et al., 2013). Daher wurde das Patent für die Anwendung der CRISPR/Cas-Methode an höheren, eukaryotischen Zellen zunächst dem MIT zugesprochen, während das CRISPR-Patent für das allgemeine Verfahren Charpentier und Doudna zugesprochen wurde. Obwohl es über die Jahre bereits einige gerichtliche Entscheidungen gab, ist der Patentrechtsstreit längst noch nicht beigelegt. Inzwischen gibt es mehrere hundert Patente zu CRISPR/Cas, die meist auf kleinen Veränderungen der ursprünglich publizierten Methode beruhen. So wird beispielsweise die ursprüngliche Genschere, das Protein Cas9, durch ein anderes Schneideprotein ersetzt.

Die Nobelpreise werden traditionsgemäß jährlich am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, in Stockholm verliehen. In diesem Jahr wurden die Preise aufgrund der Corona-Pandemie bereits am 7. und 8. Dezember einzeln überreicht, die festliche Veranstaltung zur Verleihung findet heute online statt und wird ab 13:00 Uhr übertragen. Weitere Informationen sowie die Livestream-Links findet ihr auf der offiziellen Homepage unter www.nobelprize.org.

Quellen

Barrangou, R., Fremaux, C., Deveau, H., Richards, M., Boyaval, P., Moineau, S., Romero, D.A., and Horvath, P. (2007). CRISPR provides acquired resistance against viruses in prokaryotes. Science 315, 1709–1712.

Batey, R.T., Rambo, R.P., Lucast, L., Rha, B., and Doudna, J.A. (2000). Crystal structure of the ribonucleoprotein core of the signal recognition particle. Science 287, 1232–1239.

Cong, L., Ran, F.A., Cox, D., Lin, S., Barretto, R., Habib, N., Hsu, P.D., Wu, X., Jiang, W., Marraffini, L.A., et al. (2013). Multiplex genome engineering using CRISPR/Cas systems. Science 339, 819–823.

Deltcheva, E., Chylinski, K., Sharma, C.M., Gonzales, K., Chao, Y., Pirzada, Z.A., Eckert, M.R., Vogel, J., and Charpentier, E. (2011). CRISPR RNA maturation by trans-encoded small RNA and host factor RNase III. Nature 471, 602–607.

Ishino, Y., Shinagawa, H., Makino, K., Amemura, M., and Nakatura, A. (1987). Nucleotide sequence of the iap gene, responsible for alkaline phosphatase isoenzyme conversion in Escherichia coli, and identification of the gene product. J. Bacteriol. 169, 5429–5433.

Jansen, R., Van Embden, J.D.A., Gaastra, W., and Schouls, L.M. (2002). Identification of genes that are associated with DNA repeats in prokaryotes. Mol. Microbiol. 43, 1565–1575.

Jinek, M., Chylinski, K., Fonfara, I., Hauer, M., Doudna, J.A., and Charpentier, E. (2012). A programmable dual-RNA-guided DNA endonuclease in adaptive bacterial immunity. Science 337, 816–821.

Lander, E.S. (2016). The Heroes of CRISPR. Cell 164, 18–28.

Mali, P., Yang, L., Esvelt, K.M., Aach, J., Guell, M., DiCarlo, J.E., Norville, J.E., and Church, G.M. (2013). RNA-guided human genome engineering via Cas9. Science 339, 823–826.

Mojica, F.J.M., Juez, G., and Rodriguez‐Valera, F. (1993). Transcription at different salinities of Haloferax mediterranei sequences adjacent to partially modified PstI sites. Mol. Microbiol. 9, 613–621.

Qi, L.S., Larson, M.H., Gilbert, L.A., Doudna, J.A., Weissman, J.S., Arkin, A.P., and Lim, W.A. (2013). Repurposing CRISPR as an RNA-guided platform for sequence-specific control of gene expression. Cell 152, 1173–1183.

Wiedenheft, B., Zhou, K., Jinek, M., Coyle, S.M., Ma, W., and Doudna, J.A. (2009). Structural basis for DNase activity of a conserved protein implicated in CRISPR-mediated genome defense. Structure 17, 904–912.

Wiedenheft, B., Lander, G.C., Zhou, K., Jore, M.M., Brouns, S.J.J., Van Der Oost, J., Doudna, J.A., and Nogales, E. (2011). Structures of the RNA-guided surveillance complex from a bacterial immune system. Nature 477, 486–489.

Autor: Robin Lorenz


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