Das CjD in Bonn ist kein Vier-Sterne-Hotel – es hat eher die familiäre Atmosphäre einer Jugendherberge – und es hat einen guten Ruf als Treffpunkt für kleine wissenschaftliche Konferenzen. Am 28. Und 29. März gab es dort das erste Meeting unseres Schwerpunktprogramms 2141 „Weitaus mehr als nur Verteidigung: die vielen verschiedenen Funktionen des CRISPR-Cas Systems“.
In der Öffentlichkeit denkt man dabei zuerst an CRISPR-Babys, an sogenannte Gen-Pflanzen und an Eingriffe in die göttliche Schöpfung. Das sind wichtige Aspekte, die mehr öffentliche Diskussion brauchen als bisher, und am Rande wird das auf der Tagung auch immer wieder angesprochen.
Das Thema unseres Programms ist aber eben nicht die Anwendung der Gen-Schere. CRISPR-Cas wurde ursprünglich als eine Art Immunsystem von Bakterien entdeckt, mit dem sie sich gegen Virusinfektionen verteidigen. Es gab jedoch sehr bald Beobachtungen, die nicht in dieses Bild passten und die zu der Vermutung führten, dass es weitere, bisher unbekannte Funktionen gibt – und um diese Funktionen geht es uns.
Die Gruppen, die in dem Programm zusammenarbeiten, betreiben reine Grundlagenforschung. Daraus werden sich wahrscheinlich kaum lukrative Patente ergeben, aber grundlegende Erkenntnisse über Lebensfunktionen, über Evolution, über Umweltanpassungen und vieles mehr. Und: Grundlagenforschung ist der Treibstoff für Innovationen. Ohne ein Verständnis der Grundlagen wird es nie neue Erfindungen und Entwicklungen geben!
Leiter und Mitarbeiter der 22 Arbeitsgruppen waren aus ganz Deutschland – und ein Forscher sogar aus Israel – angereist, um sich gegenseitig über den aktuellen Stand der Arbeiten zu informieren. Im 20-Minuten-Takt gab es Vorträge und von den Zuhörern teils kritische Fragen und Vorschläge. In den Kaffeepausen und in der Poster-Session am Abend stellten junge Doktorandinnen und Doktoranden, manche hatten erst vor zwei bis drei Monaten mit ihrem Projekt begonnen, ihre Ergebnisse auf Postern vor und diskutierten mit den „alten Hasen“ und ihren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Arbeitsgruppen. Die Gruppenleiter kennen sich meist seit vielen Jahren, für die jungen Wissenschaftler sind das aber oft erste wichtige Kontakte zur wissenschaftlichen Community, aus denen sich auch informelle Kooperationen ergeben. Manchmal werden auch schon kleine Päckchen ausgetauscht, Materialien wie z. B. Plasmide, die in einer Gruppe hergestellt wurden und die für eine andere Gruppe auch nützlich sind. Oder man sitzt in kleinen Gruppen zusammen und fachsimpelt: „Schau dir doch mal diese Ergebnisse an!“ oder „Kann ich mir euer Protokoll mal auf den Stick ziehen?“
Besonders interessant ist die interdisziplinäre Vielfalt des Programms. Ursprünglich waren es natürlich die Mikrobiologen, die sich mit CRISPR-Cas beschäftigten. Um die riesigen Mengen von vielen Milliarden DNA-Sequenzen zu verarbeiten, sind jedoch Bioinformatiker und Mathematiker erforderlich. Die Genome und Metagenome von Bakterien und Archaea sind eine Schatztruhe – man muss sie nur richtig analysieren, um immer neue CRISPR-Cas-Systeme zu entdecken und neue Funktionen zu finden! Physiker haben Methoden entwickelt, um einzelne Moleküle in einer lebenden Bakterienzelle in Echtzeit zu verfolgen. Daraus ergeben sich wieder neue Fragen: Wie und wo werden die CRISPR-Cas Komplexe aufgebaut? Wie bewegen sie sich entlang einer DNA und was passiert, wenn sie an ihrer Zielsequenz „einrasten“? Physiker, Informatiker, Mathematiker und Biologen sprechen unterschiedliche Sprachen, trotzdem funktioniert der Austausch gut. Nein, die Biologen verstehen die Algorithmen der Informatiker nicht ganz und die Mathematiker wissen nicht so richtig, was der Unterschied zwischen supercoiled- und open-circle-Plasmiden ist. Aber beide werden im Laufe des Programms noch viel lernen.
Am Abend wandern die Teilnehmer nach und nach von den Postern zur Bar oder zu den Sitzecken im Foyer. Bei Bier oder Rotwein geht’s noch immer um Wissenschaft, aber es kommen auch andere Geschichten dazu. Man stellt fest, dass man gemeinsame Bekannte hat, oder erzählt von Exkursionen, um Archaea und Viren aus dem Toten Meer zu fischen, von verrückten Forschungsideen („Man könnte doch mal …“) oder auch von misslungenen Experimenten, bei denen man jetzt über die eigene Dummheit lachen kann.
Es wird spät.
Trotzdem sind alle (manche mit etwas kleinen Augen) pünktlich um acht Uhr wieder im Saal, um sich die weiteren Vorträge anzuhören.
Zum Mittagessen gibt es Bratfisch und Grießbrei zum Nachtisch. Kein Vier-Sterne-Hotel, aber trotzdem ganz gut.
Verabschiedung, Tasche packen und ab zur Straßenbahn, zum Bahnhof und mit dem nächsten Zug nach Hause. Und erst im Zug merkt man, dass das doch ganz schön anstrengend war!
Autor: Wolfgang Nellen