Workshop „Gentechnik und nachhaltige Landwirtschaft: ein Widerspruch?“ – eine Veranstaltung von STUBE Hessen und World University Service (WUS)

Vom 23. bis 25. Oktober trafen sich 25 studentische Teilnehmende aus 16 Ländern zum „STUBE“-Wochenendseminar in der Jugendherberge Bad Homburg, um sich über Gentechnik und ökologische Landwirtschaft zu informieren und zu diskutieren. Die Teilnehmenden kamen fast ausschließlich aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es gab große Wissbegier, mehr über Gentechnik zu erfahren, der Wissensstand war aber eher gering. Science Bridge sieht seine Aufgabe genau darin, einem interessierten Laienpublikum mit möglichst verständlichen wissenschaftlichen Informationen eine Grundlage zur Meinungsbildung zu geben. Und das funktionierte recht gut, denn die Teilnehmenden waren aufgeschlossen und diskussionsfreudig. Dazu trug auf jeden Fall auch die große Diversität der Herkunftsländer und der verschiedenen kulturellen Hintergründe bei. Was Armut und Hunger wirklich bedeuten, ist uns größtenteils fremd geworden. Auch wenn alle, teilweise seit etlichen Jahren, in Deutschland „angekommen“ waren, die Erfahrungen aus den Heimatländern waren sehr lebendig.

Der Workshop war gewiss eine große Herausforderung: ein dickes Bündel an Informationen über konventionelle Züchtung in der Landwirtschaft, die „alte“ und die „neue“ Gentechnik und die Auseinandersetzung mit der Idee, dass ökologische Landwirtschaft nicht unbedingt einen Widerspruch zur Gentechnik darstellen muss.

Sehr deutlich wurde auch, dass die SDGs (sustainable development goals) alle eng zusammenhängen. Bildung funktioniert nicht mit leerem Magen und auch nicht, wenn dafür die Zeit fehlt. Landwirtschaft für den Eigenbedarf zu betreiben, ist vielfach ein romantisches Ziel reicher westlicher Länder. Aber Lehrer, Ärzte, Krankenpfleger, Ingenieure, Wissenschaftler und Handwerker haben andere wichtige Aufgaben und müssen von den Bauern versorgt werden, um diese Aufgaben gut erfüllen zu können.

Vortrag und Diskussion begannen mit der Landwirtschaft, die seit etwa 10.000 Jahren mit Zuchtwahl und später mit Kreuzungen betrieben wurde, um Pflanzen immer mehr den Bedürfnissen des Menschen anzupassen. Wie mühsam die Kreuzungsgenetik ist, zeigte sich in einem „Würfelspiel“, in dem die Teilnehmenden Pflanzen kreuzten: ein Elternteil hatte vier gute und eine schlechte Eigenschaft, der andere Elternteil eine gute und vier schlechte Eigenschaften.

Maisbeispiel

Nach der ersten Kreuzung erhält man die schlechteste Zusammenstellung, die man sich nur denken kann, aber die „guten“ Eigenschaften sind darin verborgen! Erst nach der zweiten Kreuzung kann man mit der gewünschten Kombination rechnen. Aber unter den etwa 40 ausgewürfelten Kombinationen war keine einzige, die alle fünf erwünschten Eigenschaften hatte. Statistisch findet man nur eine in über tausend Pflanzen, die in diesem Beispiel so aussieht, wie man es sich wünscht!

Im 20. Jahrhundert kam die Mutagenese mit Radioaktivität und Chemikalien dazu, um die Variabilität der genetischen Information zu erhöhen. In den 1990er Jahren erschien die Gentechnik auf dem Spielfeld. Es gab viele Versprechungen und viele Kontroversen. Es wurde zwar einiges erreicht, aber es wurden auch Fehler gemacht, die den Fortschritt einschränkten. Der Vorteil dieser „alten Gentechnik“: man brachte ein bestimmtes Gen ein und zerschoss nicht blind, wie mit einer Schrotflinte, das ganze Genom. Im Gegensatz zu Kreuzungen und Mutagenese sind solche Genkonstruktionen molekularbiologisch nachweisbar. Das liegt in erster Linie daran, dass man weiß, wonach man suchen muss. Bei Kreuzungen und Mutagenese sind viele Veränderungen irgendwo im Genom versteckt und man findet sie nicht so einfach.

Seit 2012 gibt es die „neue Gentechnik“ mit CRISPR-Cas, deren Funktionsprinzip im Workshop eingehend erklärt wurde.

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3D-Modell eines Cas9-Proteins

Sie ist noch präziser, schneller und auch wesentlich preiswerter geworden. In manchen Fällen werden nur ein oder ein paar Buchstaben im genetischen Code ausgetauscht und man kann einen sehr großen Effekt erzielen. Oder es werden Gene aus einer Wildpflanze wieder in eine Kulturpflanze eingesetzt. Einige Gene waren versehentlich bei den alten Züchtungsmethoden verlorengegangen und erst später stellte sich heraus, dass sie sehr nützlich waren (z.B. produzierten sie Abwehrstoffe gegen Insektenfraß oder Pilzinfektionen).

Mutagenese

Wie schwierig das mit Kreuzungen rückgängig zu machen ist, wurde bei dem „Würfelspiel“ gezeigt. Mit CRISPR-Cas hat man wie bei der „alten Gentechnik“ Veränderungen an einer (oder an ganz wenigen) Stellen. Man kann sie finden, wenn man genau weiß, was verändert wurde. Das könnte aber ebenso durch eine Mutation oder durch eine langwierige Kreuzung passiert sein.

Punktmutation

Einen Beweis, dass es sich um eine gentechnische Veränderung handelt, kann man in den meisten Fällen nicht führen.Das europäische Gesetz sagt, dass gentechnische Veränderungen in einem aufwändigen und teuren Verfahren genehmigt werden müssen. Aber wie soll das gehen, wenn man nicht nachweisen kann, dass die Veränderung gentechnisch gemacht wurde? Das wird sehr schwierig oder gar unmöglich! Wie eine Regulierung in Europa aussehen wird, ist noch unklar. Andererseits brauchen wir neue Züchtungen, um dem Klimawandel, der wachsenden Bevölkerung und den noch immer existierenden Hungerproblemen zu begegnen.

Wir brauchen eine kluge Kombination von nachhaltiger, ressourcenschonender Landwirtschaft. Dabei müssen die Möglichkeiten der Gentechnik eingeschlossen werden. Eine sorgfältige Überprüfung neuer Sorten ist nötig, um Risiken so gut wie möglich auszuschließen. Dabei kommt es auf die Produkte an – die Kartoffel, die Apfelsine, den Reis – nicht auf die Prozedur, wie sie gezüchtet wurden.

Für die Studierenden war dieser Exkurs in die Biowissenschaften eine neue Erfahrung. Es gab viel Diskussion und viele Fragen, auch bei persönlichen Gesprächen in der Mittagspause. Ein wichtiger Aspekt, der immer wieder auftauchte, war der Unterschied zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften andererseits. Vielleicht gibt es ja mal ein STUBE-Seminar, um eine Annäherung dieser beiden großen Wissenschaftsbereiche zu versuchen.

Autor: Wolfgang Nellen


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