CRISPR-Cas Mysterien – Teil 3: Das Familienalbum

Die Entdeckung des CRISPR-Cas9-System war nur der Anfang: Ständig kommen neue Systeme hinzu und werden weitere Cas-Proteine entdeckt. Wir haben in einer Art Familienalbum einmal die bislang prominentesten Vertreter zusammengestellt und ihre typischen Eigenschaften beschrieben.

1. Walter ist der bekannteste Vertreter. Er heißt offiziell Cas9 und schneidet mit Hilfe einer CRISPR-RNA zielgenau an einer Stelle. Cas9 schneidet dabei beide Stränge einer DNA-Doppel-Helix.

2. Ein künstlicher Bruder von Walter wurde im Labor gemacht. Er heißt Cas9-Nickase (Bertram) und ihm fehlt ein Zahn, das heißt: Er kann nicht beide, sondern nur einen Strang der Doppelhelix schneiden. Für manche Anwendungen ist das ganz praktisch.

3. Ein weiterer künstlicher Bruder Erwin ist ein Zombie bzw. völlig zahnlos: dCas9 (=“dead Cas9″) findet zwar mit Hilfe der CRISPR-RNA die richtige Stelle im Genom, sitzt da aber nur rum und macht nichts. dCas9 kann man aber als Lastwagen benutzen, um andere Proteine zu einer bestimmten Stelle in der DNA zu transportieren. Die einfachste Form ist, eine Protein-Taschenlampe (GFP = grün fluoreszierendes Protein) dranzuhängen. Dann leuchtet dCas9 und man kann die gesuchte Stelle (das Gen) in einer lebendigen Zelle sehen und beobachten. In dCas9-Dnmt3a hat der Cas9-Zombie eine ganz besondere Ladung, die bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Dazu muss man wissen, dass in den meisten Tieren Gene nicht nur durch die Anordnung ihrer Buchstaben (Basenpaare) bestimmt sind. In vielen Fällen werden kleine Anhängsel (Methylgruppen) an die Basen angehängt und bei Bedarf wieder abgeschnitten. Mit dieser „epigenetischen Codierung“ werden z. B. Gene ein- oder ausgeschaltet. Die „Anhängsel“ gezielt an bestimmte DNA-Sequenzen zu setzen, schien lange Zeit unmöglich. In dCas9-Dnmt3a trägt der Zombie das „Anhängsel-Enzym“ Dnmt3a huckepack und trägt es zu der Stelle im Genom, wo man Anhängsel anbringen möchte. Eine tolle Möglichkeit, um z. B. Tumore abzuschalten! Ein Problem besteht aber noch darin, den Zombie mit seiner Ladung gezielt in die Tumorzellen zu kriegen. Es wird also noch etwas dauern, bis die Methode bei Krebspatienten ankommt!

4. Cas 13a ist unter dem Namen „Sherlock“ patentiert. Cas13a schneidet keine DNA sondern RNA, die Abschrift der DNA. Auch Cas13a braucht eine CRISPR-RNA, um sein Ziel zu finden. Wenn Cas13a einmal sein richtiges Ziel gefunden und geschnitten hat, wird es wild und zerschneidet alle RNA, die ihm begegnet. Das ist für Diagnostik gut brauchbar, aber nicht für Therapie! Um z. B. bei einem Patienten zu prüfen, ob er mit einem Virus infiziert ist, nimmt man eine Blutprobe und gibt Cas13a plus CRISPR-RNA mit der Virussequenz dazu. Wird alle RNA zerschnipselt, was man leicht erkennen kann, dann weiß man, dass Cas13a mindestens einmal eine Virus-RNA gefunden hat.

5. Cas3 nennt man auch „DNA-Shredder“. Es ist ein Cas-Enzym, das nicht nur einmal einen Schnitt setzt, sondern von dort die DNA in eine Richtung „auffrisst“ (abbaut, zerlegt). Cas3 macht das nicht ewig, sondern ist irgendwann (manchmal nach ein paar hundert, manchmal erst nach rund 100.000 Basenpaaren) „erschöpft“ und hört auf. Das ist nicht sehr präzise, aber man weiß, wo es anfängt und in welche Richtung es frisst. Für die Grundlagenforschung ist Cas3 damit als Werkzeug gut geeignet, um herauszufinden, ob im Genom irgendwo wichtige Sachen sitzen, die man bisher noch nicht kennt.

6. Cas12a (früher Cpf1) stammt aus dem Bakterium Francisella tularensi. Es ist ein enger Verwandter von Walter und anscheinend ein noch pingeliger Beamter. Während Walter mal ein bisschen schlampt und es nicht ganz so genau nimmt mit der Übereinstimmung zwischen seiner CRISPR-RNA und der Zielsequenz, dann ist Cas12a da deutlich akribischer. Man verspricht sich noch größere Präzision von Cas12a und hat ihm (mit Mutationen) schon ein paar kleine Unarten ausgetrieben, die bei der Anwendung störten. Ein weiterer Vorteil: Cas12a ist einfacher gebaut und etwas kleiner als Cas9. Je nach Anwendung ist es oft ein Problem, ein Cas Protein in eine Zelle zu kriegen. Cas12a kann man leichter einschmuggeln als Cas9.

7. Cas10: Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Cas10 ist eine DNase, zerschneidet also DNA, wenn es von einer crRNA an den richtigen Ort geleitet wird. Aber eigentlich doch nicht, denn da muss vorher noch einiges passieren: Nur zusammen mit einem anderen Cas-Protein, Csm4, wird die Leit-RNA (crRNA) gebunden. Zusammen holen sie Csm3, das sich in mehreren Exemplaren auf die cRNA setzt. Wenn jetzt noch Csm5 dazu kommt, ist die Party komplett und kann nicht nur DNA sondern auch RNA schneiden. Ach ja, und dann ist noch Cas6 eingeladen – aber nur vorübergehend (vielleicht zum Bier holen?). Danach wird er wieder vor die Tür gesetzt. Ein tolles Team! Die sind halt sehr gesellig. Für die Anwendung ist es aber etwas umständlich, die ganze Bande geordnet zu Arbeit zu bewegen! Daheim, im Bakterium Streptococcus thermophilus, funktioniert das aber wie ein Flash-Mob: Eine kurze Nachricht an die WhatsApp-Gruppe und alle sind zur Stelle!

8. Cas14 – Der Zwerg unter den Cas-Nukleasen ist nur 530 Aminosäuren groß (zum Vergleich: Cas9 besteht aus 1.368 Aminosäuren). Allerdings kann Cas14 nur einzelsträngige DNA schneiden. Das ist gut, um manche Bakteriophagen abzuwehren, bringt aber (bisher) nichts, um in der Anwendung Gene zu verändern. Nur ein nutzloses Spielzeug aus der Grundlagenforschung? Weit gefehlt! Ähnlich wie Cas13a muss Cas14 nur einmal angestoßen werden, also ein spezifisches Ziel finden, und zerschnippelt dann alles an einzelsträngiger DNA, was ihm in die Quere kommt. Damit ist es als diagnostisches Werkzeug für einzelsträngige DNA-Viren brauchbar und kann z. B. in Blutproben kleinste Spuren einer Virusinfektion finden. Das Diagnose-Werkzeug gibt es bereits unter dem Namen „Detectr“.

9. Argonauten sind die Kumpels von der anderen Baustelle. Man kennt sie schon länger als eifrige Kontrolleure in Pflanzen und Tieren – mit der Abwehr von Viren haben sie aber eigentlich nichts zu tun. Nun hat man auch Argonauten in Bakterien und Archaea gefunden und sie haben sich erfolgreich ins CRISPR-Cas Geschäft eingeschmuggelt. Aus den Kumpels könnten in der Anwendung bald ernsthafte Konkurrenten werden!

Autor: Wolfgang Nellen

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Wie Cas12 und Cas13 zu Diagnostikzwecken eingesetzt werden können, zeigt dieser Film: CRISPR-Based Diagnostic Tools – A CRISPR Whiteboard Lesson


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